06.05.2004

DIE WELT

Seite 9

Zum Thema: Folter im Irak

Unrecht im Namen von Demokratien

Sie [DIE WELT] sind nicht zu beneiden in diesen Wochen, wo im irakischen Kriegstheater eine Kulisse nach der anderen umfällt.

Natürlich waren Sie fürs Bühnenbild nicht verantwortlich, aber immerhin haben Sie die Inszenierung ja anfänglich reichlich beklatscht.

Als ich die ersten Löffel Brei herunterwürgen musste, schaute ein großer, ernst dreinblickender Führer über Vaters Schreibtisch zu. Nach dem Ende der großen Zeit gab's vom vielen trockenen Brot und den pflichtgemäßen Gedanken an die ermordeten Juden oft ein flaues Gefühl im Magen.

Aber gottlob hatte auch der inzwischen Siebenjährige schon wieder ein wenig Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit, weil ja nun die Demokratie amerikanischer Provenienz Einzug gehalten hatte.

Bald rückten die Befreier mit der Schokolade und den riesigen Tanks wieder ab und überließen uns den "richtigen" Befreiern mit den Panjewagen. Als die Befreier uns dann auch noch von allem überflüssigen Hausrat etc. sowie meine 14-jährige Schwester von ihrer Unschuld befreiten, war ich plötzlich ein kleiner Antikommunist.

Fürs Christentum, für Freiheit, für Demokratie und Anti-Terror-Kampf wurden zu allen Zeiten sicher mindestens ebenso viele Unschuldige massakriert wie für Faschismus, Kommunismus oder x-beliebigen Rassismus irgendwo auf der Welt.

Aber wenn die Unschuldigen im Namen der Demokratie & Freiheit gebombt werden, regen sich viel weniger Leute auf.

Demokraten haben es viel schwerer als Despoten; was diese mit einem einzigen Befehl bewirken, müssen jene mittels einer gewaltigen Lügenindustrie ihren Völkern erst umständlich verkaufen; gottlob gibt es Journalisten, die ihnen bei diesem beschwerlichen, aber einträglichen Handwerk helfen.

Karl-Ernst Möhrstedt