Deutschland muss Deutschland bleiben
Es gibt keine Obergrenze für das Grundrecht auf Asyl. Aber es gibt eine Grenze des Staates.
Von Reinhard Müller
Wenn der ungarische Ministerpräsident meint, niemand könne verlangen, dass sein Land sich ändere,
so hat er einen Schuss nicht gehört: den der Europäischen Einigung. Alle Mitglieder der EU haben
sich zur Zusammenarbeit verpflichtet. Alle EU-Staaten sind auch dazu angehalten, Entscheidungen
europäischer Gerichte und Gremien zu befolgen. Das haben sie nämlich alle so vereinbart.
Sie können freilich auch darauf pochen, dass die Europäische Union nur das beschließen darf, was
die Staaten ihr dazu übertragen haben. Und die freiwillige Einbindung heißt eben nicht, dass es
für die Staaten überhaupt nichts mehr zu entscheiden gäbe, oder gar, dass es keine nationalen
Interessen mehr gäbe, sondern nur noch europäische, wie deutsche Politiker bisweilen hervorheben.
Gerade die Flüchtlingskrise lässt die gemeinsame Sache wieder hervortreten, sie zeigt aber auch:
Jedes Land hat eigene Bedürfnisse.
Das ist auch normal. Denn Europa ist kein Staat. Es ist ein immer enger werdender Verbund von
Nationalstaaten. Solange den Europäern der Wille fehlt, ein Volk zu sein, gibt es nicht nur ein
Recht zur Durchsetzung nationaler Interessen, sondern eine Pflicht dazu. Natürlich im Rahmen der
europäischen Verträge - deren Herren freilich die Mitgliedstaaten bleiben.
Und auch die
europäischen Regeln etwa zu den Grundfreiheiten oder zu Schengen sehen ja Ausnahmen zur Wahrung
der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor. Nicht nur Deutschland nimmt für sich einen
nationalen Souveränitätsvorbehalt in Anspruch, wenn es hart auf hart kommt.
Gerade in der Krise kann und muss der Staat handeln. Das klingt technisch und kalt. Ist der Staat
nicht nur eine Organisationseinheit? Ja, aber nicht nur. Außerdem: Organisation und Ordnung, die
vorwiegend denen zugutekommen, die sich nicht selbst helfen und schützen können, sind nichts
Schlechtes. Der Staat ist kein Selbstzweck, darf es nicht sein. Die demokratische Grundordnung
soll schließlich Freiheit möglich machen.
Würde und Freiheit sind Menschenrechte. Jeder hat das Recht, woanders sein Glück zu suchen -
ganz egal ob er aus Darmstadt oder Damaskus kommt, ob sein Leben bedroht ist oder er in der
Fremde mehr verdienen will. Niemand, kein Land dieser Erde hat das Recht, ihn aufzuhalten -
das sollten gerade wir Deutsche 25 Jahre nach dem von den eigenen Bürgern erzwungenen Ende des
DDR-Gefängnisses beherzigen. Jeder hat auch einen Anspruch darauf, überall menschlich behandelt
zu werden - und nicht dorthin zurückgeschickt zu werden, wo ihm Verfolgung droht.
Er hat
aber keinen Anspruch auf Bleiberecht in einem bestimmten Land.
Auch das hat humanitäre Gründe. Deshalb ist der Satz der Bundeskanzlerin, das Grundrecht auf Asyl
kenne keine Obergrenze, so fatal. Sie fügte hinzu, das gelte auch für
"die Flüchtlinge, die aus
der Hölle eines Bürgerkriegs zu uns kommen". Doch abgesehen davon, dass kein Grundrecht eine
"Obergrenze" kennt: Das ist - zusammen mit dem berüchtigten Signal der Kanzlerin „Wir schaffen
das" - eine Einladung an alle Beladenen dieser Erde, in Deutschland Aufnahme zu finden.
Es gibt hier nur eine völkerrechtliche Pflicht: Verfolgte nicht dorthin zurückzuschicken, wo
ihnen Verfolgung droht. Schon die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen ist eine freiwillige Maßnahme.
Das Zeichen an die Welt muss lauten: Deutschland hilft in der Not - dazu muss es aber Deutschland
bleiben. Dieser Staat kann nur seine humanitären Pflichten erfüllen, solange er funktioniert.
Wenn ihm die Herrschaft über Volk und Gebiet entgleitet, ist es vorbei. Diese Lage mag zurzeit
noch weit entfernt erscheinen. Doch wer jetzt in Deutschland ankommt, der wird in der Regel
bleiben - und er wird weitere Angehörige nachholen dürfen. Es wird dann geradezu inhuman
erscheinen, die Familien, die man mühsam zu integrieren begonnen hat, wieder zurückzuschicken.
Doch diese Integration wird, wie sich jetzt schon abzeichnet, nur mit einem Notstandsregime zu
erreichen sein. Da geht es nicht um Brandschutz und Baurecht. Nur zur Erinnerung:
Das Recht auf
Freizügigkeit kann auch in Deutschland eingeschränkt werden - wenn etwa "eine ausreichende
Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen
würden". Man erkennt, aus welcher Zeit das stammt. Ist es bald wieder so weit?
Wann kommt es
zu den ersten Zwangseinweisungen von Flüchtlingen? Häuser und Wohnungen können schließlich
auch enteignet werden.
Verständlich, dass sich die Kanzlerin nicht auf eine Maximalzahl von Einwanderern festlegen
lassen will. Dahinter steht die Erwartung, irgendwann sei eben eine Grenze erreicht.
Doch
dann wird es zu spät sein. Wenn jetzt Entscheidungen getroffen werden, deren Auswirkungen
nicht beherrschbar sind, so stellt sich deshalb die Frage, ob eine Regierung dazu legitimiert
ist. Mit Recht hat das Bundesverfassungsgericht im Zuge der europäischen Einigung hervorgehoben,
dass Deutschland sich unter diesem Grundgesetz nicht als Staat auflösen darf.
Keine Bundesregierung
ist dazu befugt, die staatliche Ordnung aus den Angeln zu heben.
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