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Was ist das für eine Wahrheit, die nicht selbst für sich sorgen kann, sondern die Hilfe von Gesetzen und Strafandrohungen braucht? |
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.08.2007, Nr. 177, S. 33 |
Versiegelte Geschichte Erinnerungsgesetze helfen nicht / Von Reinhard Kaiser Während der deutschen Ratspräsidentschaft war Brigitte Zypries die Vorkämpferin einer schärferen Gesetzgebung gegen die Leugnung oder Verharmlosung von Völkermorden. Es bleibt die Frage nach dem Nutzen des Leugnungsverbots. Gesetze, die den Umgang mit strittiger Geschichte regulieren sollen, haben in Europa Konjunktur. Ihre Zahl nimmt zu. Ihr Geltungsbereich wird ausgeweitet. Die bei Verstößen vorgesehenen Strafen werden verschärft. Eine europaweite Vereinheitlichung der ihnen zugrundeliegenden Rechtsnormen hat die Konferenz der EU-Justizminister in Luxemburg kürzlich beschlossen. In Frankreich sind in den letzten Jahren eine Reihe von "Erinnerungsgesetzen" erlassen worden. Das erste erkennt den Genozid an den Armeniern von 1915 öffentlich an. Das zweite ächtet den Sklavenhandel als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das dritte, das die positive Dimension der "französischen Präsenz in Übersee" während der Kolonialzeit hervorhob, wurde von Staatspräsident Chirac kassiert. Als Modell dieser Art von Gesetzgebung kann man wohl die gesetzlichen Bestimmungen gegen das Leugnen des Holocaust ansehen, die in einer Reihe von Ländern seit einiger Zeit in Kraft sind. Gemessen an unserem gewohnten Umgang mit historischen Tatsachen, sind solche Regelungen ungewöhnlich. Inzwischen sieht es so aus, als entwickle das, was ursprünglich eine Ausnahme in unserem Rechtssystem war, ein Eigenleben und steuere auf eine Verallgemeinerung zu. ... Doch gegen das Vorhaben, historische Tatsachen mit Gesetzen abzusichern und sie gegen Leugner und Zweifler mit Strafandrohungen zu verteidigen, lassen sich Einwände erheben. ... Mit Verboten und Strafandrohungen behaftete Stoffe lernen sich nicht gut, wenn überhaupt.
Es ist dieser gesetzliche Schutz, den Raul
Hilberg, der große Erforscher der Dimensionen und Abgründe des Holocaust,
gleichsam dankend ablehnt, wenn er über die Leugner des Holocaust sagt: "Wenn
diese Leute reden wollen, soll man sie lassen. Das bringt jene von uns, die
Forschung treiben, dazu, Dinge, die wir vielleicht als offensichtlich erachtet
haben, erneut zu überprüfen. Und das ist nützlich für uns." ... Kann es sein, daß wir diese Lücke in Ermangelung eines besseren Füllstoffs mit dem Leugnungsverbot zu schließen versuchen? Dabei ahnen wir, daß wir es uns mit einem solchen Verbot in gewisser Weise einfach machen - zu einfach: Wir versiegeln das, was uns an dem Geschehenen unbegreiflich bleibt, mit dem Verbot, es zu leugnen, und rauben damit dem Impuls, mehr begreifen zu wollen, einen Teil seiner Kraft. Die Glaubhaftigkeit des Holocaust nimmt Schaden, wenn man seine Unglaublichkeit tabuisiert. ... Aber auch in dieser Zukunft wird gelten: Stoffe, die mit Gesetzen und Strafen befestigt sind, lernen sich nicht gut. Vielleicht täten wir gut daran, uns die Freiheit zuzumuten, die Bestimmungen über das Leugnen und Verharmlosen des Holocaust nach dem Vorbild Großbritanniens und der Vereinigten Staaten, wo es solche Maßregeln nie gegeben hat, fallenzulassen, statt sie in Form eines europäischen Rahmenabkommens über den strafrechtlichen Umgang mit strittiger Historie zu verallgemeinern. |
Die Zwangswahrheit schaffte "einen strafrechtlichen Naturpark für Juden" |