Wir sollten nicht so aufgeregt sein
Nr. 22/2006, Titel: SPIEGEL-Gespräch mit Irans Präsident
Ahmadinedschad -"Der Mann, vor dem die Welt sich fürchtet"
Nach dem Lesen des in mehrfacher Hinsicht
bemerkenswerten Interviews mit Ahmadinedschad stellt sich die
Frage, wer denn nun die Bösen und die Gefährlichen sind. Dieser
Mann ist offenbar alles andere als ein ignoranter Dummkopf. Er
hat es lediglich gewagt, seinen Finger in chronisch eiternde
Wunden zu legen.
TWISTRINGEN (NIEDERS.) CARSTEN PÖTTER |
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Vielen Dank für dieses Gespräch, das das vorherrschende Bild eines
zornigen, unberechenbaren Bombenbastlers deutlich revidiert. Es
ist sein gutes Recht (und europäische Tradition), nicht alles zu
glauben, was als Tatsache behauptet wird. Die historische
Tatsache des Holocaust kann nicht per Gesetz zementiert werden.
Die Konsequenz kann doch nur sein, dass die Bundesregierung
iranische Historiker einlädt, damit diese sich ein Bild über die
Quellenlage und Faktizität des Holocaust machen können.
Nichts spricht dafür, dass Iran ein Interesse daran hat, einen
atomaren Weltkrieg auszulösen. Da haben mich doch ein besoffener
Boris Jelzin, der mit dem roten Knopf spielt, oder schlecht
bewachte Sprengköpfe in Russland weit mehr beunruhigt und
stellen auch heute eine ungleich größere Gefahr dar (das einzige Land, das je
die Schwelle des Einsatzes dieser Waffen überschritten hat, sind
die USA!). Wir sollten nicht so aufgeregt sein, wenn ein Land
mehr Selbstbewusstsein zeigt, als wir es gern hätten.
BERLIN, HARTWIG SCHULTE-LOH |
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Warum sollte ich mich vor Ahmadinedschad fürchten? Hüten sollte
man sich vor einer internationalen Heuchlerclique, angeführt von
einem fundamental-christlichen Haufen von Waffen- und
Öl-Lobbyisten, deren Ziel die Kontrolle der Straße von Hormus
ist und die bereit sind, 500 Milliarden in sinnlosen Kriegen zu
verpulvern, und die den Kampf gegen den Terror gewinnen wollen,
den sie selbst fördern. Ich bin kein Freund von Ahmadinedschad
und iranischen Atomwaffen, aber wer Indien, Nordkorea oder
Pakistan mit Schmusekurs begegnet oder Israel Atomwaffen
zugesteht, wird einen Verzicht anderer Staaten nicht einfordern
und erklären können.
BERLIN, GUNTHER EGERMANN |
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