Politik 2006

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Laßt uns die Aggressoren, die Architekten des neuen Kalten Krieges aus der Politik verjagen!
Ein nationales Konzept muß zu unserer Rettung her

Peter Scholl-Latour bestätigt die Linie des National Journals quasi auf ganzer Breite.

Einer der wenigen, noch anständig gebliebenen BRD-Journalisten, ist Peter Scholl-Latour. Seine Sachkenntnisse sind ebenso bestechend wie unerreicht, und er zeichnet sich durch eine weitgehende Wahrhaftigkeit aus. Weiter kann der Mann in seiner öffentlichen und beruflichen Position nicht gehen, um nicht von allen System-Sendern und -Zeitungen gefeuert zu werden bzw. um nicht in einem BRD-Kerker zu landen. Er ist der einzige Systemjournalist bis jetzt, der das BRD-§130-System offen anprangert. Er schreibt dem Regime ins Stammbuch, daß es trotz seines ständigen Herunterbetens der Demokratie- und Menschenrechtsschwafelei "auf die Respektierung der Menschenrechte schamvoll verzichtet", wenn es die Vorgaben erfordern. Und er erklärt, warum Rußlands Menschen wieder zu Wohlstand gekommen sind: Weil nämlich Präsident Putin die Heuschrecken entmachtete und ihnen somit weiterhin verwehrte, sich "der Ressourcen des Landes mit räuberischen Methoden zu bemächtigen." Aus seiner Analyse geht klar hervor, daß ein Land nur dann gesunden kann, wenn diesen Leuten der Zugriff zu den Massenmedien verwehrt wird. Er erwähnt, daß der Mann der Israellobby, Michail Chodorkowski, die Reichtümer Rußlands an die Lobby mit Hilfe "suspekter Zusammenarbeit mit US-Konzernen" vermachen wollte. Wichtig ist die Darstellung, daß USrael mit seinen europäischen Vasallen eine gemeine Aggressionspolitik gegen Rußland betreibe. Obwohl Rußland versprochen wurde, das Nato-Kriegsbündnis würde sich nicht nach Osteuropa ausbreiten, ist Rußland heute eingekreist: "Amerika und seine folgsamen europäischen Verbündeten wollen die Erben des Zarenreichs und des Sowjetimperiums auf eine Linie Smolensk-Rostow zurückwerfen." Die BRD unter Angela Merkel zieht eine neue Aggression, einen "neuen Kalten-Krieg" einer "vielversprechenden ökonomischen Partnerschaft" mit Rußland offenbar vor. Kanzlerin Merkel hat bereits Soldaten für die Ausbildung von Rußlands Feinden entsandt: "Die ukrainischen und georgischen Streitkräfte werden" auf Nato-Kurs gegen Rußland gebracht, "und dabei von deutschen Militärexperten unterstützt." Peter Scholl-Latour sagt, was andere, sagten sie es so deutlich, mit Gefängnis vergolten würde. Daß wir eine nationale Politik brauchen, "ein nationales, heilig-selbstbezogenes Konzept," daran läßt der Altmeister des einstmals ehrbaren Journalismus' keinen Zweifel aufkommen.

http://www.welt.de/data/2006/11/13/1108796.html - Die Welt, 13.11.2006, Seite7

RUSSLAND

Keine Angst vor dem neuen Zaren

Wladimir Putin wird als Autokrat verurteilt. Doch der Präsident verteidigt nur Moskaus Interessen - gegen das Vordringen der Nato und den Druck islamischer Separatisten.

Von Peter Scholl-Latour

Präsident Putin muß sich gegen die Aggression USraels erwehren. Angela Merkel, oder "Sarah Israel", wie sie im Nahen Osten gerne genannt wird, hat die Friedenspolitik Schröders verlassen und strickt mit an einem "neuen kalten Krieg".

Deutschland steht vor der Wahl, mit Russland eine vielversprechende ökonomische Partnerschaft, ja Symbiose einzugehen oder sich im Namen einer obsoleten Nato-Struktur in einen neuen Kalten Krieg hineinzerren zu lassen. Man mag die Behauptung Gerhard Schröders belächeln, er habe in Wladimir Putin einen "lupenreinen Demokraten" erkannt, aber bei seinem betonten Kooperationswillen mit Moskau hat der Ex-Kanzler eine Richtung gewiesen, von der seine Nachfolgerin nicht abweichen sollte. In der deutschen Öffentlichkeit gehört es zum guten Ton, sich über den Regierungsstil des russischen Präsidenten zu entrüsten. Zweifellos hat sich im Kreml der traditionelle Zug zur Autokratie wieder durchgesetzt. Aber wer wünschte sich schon jene pseudodemokratische Ära der Perestroika zurück, als das Sowjetimperium ohne äußeren Zwang auseinanderfiel, als die Reichtümer des Landes skrupellosen Spekulanten ausgeliefert waren und die Straßen Moskaus ein chaotisches Bild des Massenelends boten.

Die deutschen Politiker sollten es sich ohnehin abgewöhnen, in sämtlichen Kontinenten mit erhobenem Finger die Wahrung der Menschenrechte anzumahnen, die durchzusetzen sie gar nicht in der Lage sind und auf deren Respektierung sie schamvoll verzichten, wenn die Großwetterlage es verlangt.

Gewiss, es geschehen unerträgliche Übergriffe der Sicherheitsorgane in den Weiten der Russischen Föderation, doch es war bestimmt nicht Wladimir Putin, der am Vorabend seines Deutschlandbesuchs die Ermordung der Journalistin Anna Politkowskaja in Auftrag gab.

Was die grauenhafte Unterdrückung der Tschetschenen betrifft, so sind diese Exzesse auf die Befürchtung Putins zurückzuführen, der ethnische und islamistische Aufstand könne auf sämtliche autonomen Republiken des Nordkaukasus, vor allem auf Dagestan, übergreifen, längs der Wolga nach Norden vordringen und auch den Separatismus der Tataren und Baschkiren anheizen. Es leben insgesamt etwa 20 Millionen turkstämmige Muslime im Land, deren hohe Geburtenrate krass mit dem demografischen Verfall des russischen Staatsvolkes kontrastiert, bei dem der Bevölkerungsschwund 800 000 Seelen pro Jahr beträgt. Im Übrigen lebt Russland weiterhin in der traumatischen Erinnerung an das Tatarenjoch der Goldenen Horde, das fast 300 Jahre lang die Herrschaft des Halbmondes bis zu den Pripjet-Sümpfen ausdehnte.

In den deutsch-russischen Beziehungen unserer Tage geht es vorrangig um Gas und Öl. In den Medien werden Krokodilstränen über das Schicksal jener Oligarchen vergossen, die sich durch extreme Cleverness, aber vor allem mit räuberischen Methoden der Ressourcen des Landes bemächtigten und im Begriff standen - wie das in der Ukraine tatsächlich geschah - auch die staatliche Macht sowie die Herrschaft über die Medien an sich zu reißen.

Wladimir Putin, der zu dem Vorbild Peter dem Großen aufblickt, versucht, diese neuen "Bojaren" in die Zucht zu nehmen. Zumindest ein Dutzend von ihnen - wenn sie denn erfolgreich operieren und Steuern entrichten - sind vor den Nachstellungen dieses ehemaligen KGB-Offiziers verschont geblieben. Bedingung war, dass sie, anders als Michail Chodorkowski, auf politischen Einfluss sowie auf den Ankauf von Fernsehstationen und die suspekte Zusammenarbeit mit US-Konzernen verzichteten.

Ist es wirklich so verwunderlich, dass das mächtige Gazprom-Kombinat von den Ukrainern und Georgiern die Entrichtung angemessener Preise für die unentbehrlichen Gaslieferungen fordert, nachdem sich in Kiew und Tiflis neben dem unbändigen Unabhängigkeitswillen auch eine präferenzielle Ausrichtung auf Washington durchsetzte, die in dem Wunsch gipfelt, dem Atlantischen Bündnis beizutreten.

Hier liegt der Hase im Pfeffer. Die Atlantische Allianz hatte den Präsidenten Gorbatschow und Jelzin feierlich, wenn auch ohne vertragliche Absicherung versprochen, sie werde nach der deutschen Wiedervereinigung ihren Bündnisbereich nicht bis zu den Grenzen der ehemaligen Sowjetunion vorantreiben - und schon gar nicht das in Europa stark reduzierte Territorium der Russischen Föderation zusätzlich reduzieren. Stattdessen hat die Nato zu einem "Drang nach Osten" angesetzt, wie ihn bereits der Sicherheitsberater des US-Präsidenten Carter, Zbigniew Brzezinski, angekündigt hatte. Der Eindruck entstand, Amerika und seine folgsamen europäischen Verbündeten wollten die Erben des Zarenreichs und des Sowjetimperiums auf eine Linie Smolensk-Rostow zurückwerfen, was bei den Russen düstere Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg weckt.

Die Expansion der Nato "out of area" hat in Osteuropa - aus der Perspektive des Kreml - geradezu aggressive Züge angenommen. War es wirklich notwendig, die jüngste Sitzung des Atlantischen Bündnisses in Riga, also gewissermaßen im Vorhof von Sankt Petersburg, abzuhalten? Schon sind amerikanische Offiziere dabei, die ukrainischen und die georgischen Streitkräfte auf Nato-Standard umzustrukturieren. Sie werden dabei von deutschen Militärexperten unterstützt.

Das Problem in diesem Raum - man könnte noch weitere Teile von Nahem und Mittlerem Osten bis zum Hindukusch hinzuzählen - besteht nicht in der Existenz des Nordatlantischen Bündnisses, das für Amerikaner und Europäer unentbehrlich und eine Herzenssache bleiben sollte. Es besteht in der obsoleten Struktur der Organisation der Allianz - North-Atlantic Treaty Organization -, die während des Kalten Krieges zwangsläufig dem amerikanischen Oberbefehl untergeordnet war, die jedoch den Erfordernissen einer seit Ende des Ost-West-Konfliktes total veränderten Welt in keiner Weise mehr Rechnung trägt. Gerade im Hinblick auf Russland ist es an der Zeit, eine souveräne Außenpolitik und Strategie für Europa zu definieren und - falls sich das aufgrund der maßlosen Ausweitung der EU auf 27 Mitglieder als unmöglich erweist - wenigstens für Deutschland und vielleicht den karolingischen Kern des Abendlands einen unabhängigen Standpunkt zu vertreten.

Da taucht das Wort "Finnlandisierung" auf, und es werden künftige Erpressungen an die Wand gemalt, der sich die Bundesrepublik aufgrund eines russischen Quasimonopols für Energiebelieferung ausgeliefert sähe. Es geht heute jedoch weder um Tauroggen noch um Rapallo. Auch von "bismarckscher Rückversicherung" kann nicht die Rede sein. Wer wünscht sich schon einen Rückfall in die Epoche, als die Entwicklung Preußens "sous l'oeil de la Russie", unter dem wachsamen Auge Russlands, stattfand. Das kleine Finnland hatte sich übrigens im Winterkrieg des Jahres 1939 mit außerordentlicher Bravour und recht erfolgreich gegen die Generaloffensive Stalins zur Wehr gesetzt.

Die Wirtschaftsverflechtungen zwischen Russland und Westeuropa - Polen und das Baltikum wären aus verständlichen Gründen kaum dafür zu gewinnen - müssten auf gegenseitiger Abhängigkeit fundiert sein. Zwar ist der geografische Raum zwischen Smolensk und Wladiwostok furchterregend weit, doch die Einwohnerzahl Russlands ist auf 145 Millionen geschrumpft, darunter eine Vielzahl allogener Völker. Allein ein operativer Zusammenschluss zwischen Deutschland und Frankreich würde eine vergleichbare Bevölkerung aufweisen - und ein erheblich größeres Wirtschaftspotenzial.

Es besteht also keinerlei Anlass, gegenüber Moskau Minderwertigkeitskomplexe zu züchten. Das ungeheuerliche Atomarsenal aus Sowjetzeiten taugt nicht mehr zur Durchsetzung politischer oder wirtschaftlicher Dominanz. Der amerikanische Bündnispartner sollte, auch im eigenen Interesse, darauf verzichten, gegen eine westeuropäische und deutsche Weigerung, am ungezügelten Nato-Drang nach Osten teilzunehmen, zu polemisieren oder gar Berlin und Paris des "Verrats" oder "appeasement" zu bezichtigen. In Washington beherzigt man längst den Satz Nietzsches aus dem "Zarathustra", wonach die Staaten die "kältesten aller Ungeheuer" sind. Es ist Zeit, dass die Deutschen ein nationales Konzept entwerfen, das man in Italien zu Zeiten Cavours als "sacro egoismo" bezeichnet hätte.

Vom Autor [Peter Scholl-Latour] gerade bei Propyläen erschienen: "Russland im Zangengriff. Putins Imperium zwischen Nato, China und Islam" . Die Welt, Artikel erschienen am 13.11.2006, Seite 7