Politische Verfolgungen 2005

NJ Logo  
site search by freefind Detailsuche

Der Zivilisationsbruch findet statt –
heute, im besetzten Deutschland

Anwalt Jürgen Rieger muß wegen gestellter Beweisanträge 3.360 Euro Strafe zahlen

"Die Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses ist gewährleistet." (Art. 4 GG)

Von Horst Mahler

Das Landgericht Hamburg hat den Rechtsanwalt Jürgen Rieger wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 3.360 Euro verurteilt. Der vorbestrafte 56-Jährige habe sich 1996 als Verteidiger mit Beweisanträgen der Volksverhetzung schuldig gemacht, begründete die Richterin das Urteil. Die Staatsanwaltschaft hatte 5000 Euro Strafe gefordert.

Rieger habe die massenhafte Ermordung von Juden in Konzentrationslagern mit Hilfe eines Chemiker-Gutachtens leugnen wollen, sagte die Richterin. In einem ersten Verfahren war Rieger vom Landgericht freigesprochen worden, der Bundesgerichtshof hatte das Urteil aber aufgehoben.

Die Richterin wertete die lange Verfahrensdauer als Grund zur Strafmilderung. Rieger habe seine Aussagen, die auch beleidigend gewesen seien und das Andenken Verstorbener verunglimpft hätten, zwar in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung gemacht. Die Auswirkungen der Tat seien jedoch gering gewesen. Das Gericht habe nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs inhaltlich keinen großen Entscheidungsspielraum mehr gehabt.

Rieger äußerte sich empört über das Urteil: "Ich fühle mich ungerecht verfolgt." Der Anwalt kündigte an, den Rechtsweg bis zum Bundesverfassungsgericht und zum Europäischen Gerichtshof auszuschöpfen. Zunächst werde er Revision einlegen. Zuletzt seien im Mittelalter bei Hexenprozessen Verteidiger für Beweisanträge verurteilt worden, sagte er. lno

Volksverhetzung: Horst Mahler wegen der zur Verteidigung des Liedersängers Frank Rennicke vor Gericht verlesenen Beweisanträge angeklagt.

Das Amtgericht Stuttgart hat die Anklage der Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen den Rechtsanwalt Horst Mahler vom 25. März 2004 wegen des Verdachts der Volksverhetzung – Aktenzeichen 6 Js 83707/02 – zur Hauptverhandlung zugelassen. Dem Anwalt wird vorgeworfen, daß er in der Berufungsverhandlung gegen den Liedersänger Frank Rennicke vor der 38. Kl. Strafkammer des Landgerichts Stuttgart "eine Vielzahl von Hilfsbeweisanträgen stellte, deren Beweisbehauptungen dahin gingen, daß in den Konzentrationslagern in der Zeit des Nationalsozialismus keine Menschen durch Giftgas getötet worden seien."

Das Amtsgericht Stuttgart hatte die Hauptverhandlung gegen Horst Mahler für den 12. Januar 2005 anberaumt, den Termin jedoch einen Tag vorher wieder aufgehoben. Zur Begründung gab es an, daß der Angeklagte in einem Strafverfahren wegen des Verdachts der "Holocaustleugnung" sowie der Verunglimpfung der Bundesrepublik Deutschland, das bei der Staatsschutzkammer des Landgerichts anhängig ist, bezüglich seiner strafrechtlichen Zurechnungsfähigkeit psychiatrisch begutachtet werden solle. Das Amtsgericht wolle das Ergebnis dieser Untersuchung abwarten.

Oberstarzt d.R. Dr. Rigolf Hennig wurde wegen seiner zum Vorwurf der Holocaustleugnung in öffentlicher Gerichtsverhandlung vorgetragenen Einlassung von der Staatsanwaltschaft Verden erneut wegen Leugnung des Holocaust angeklagt.

Die Anklage ist beim Amtsgericht Verden zum Aktenzeichen (9 Ds) 521 Js 36992/04 (185/04) (II) anhängig. Das Hauptverfahren ist noch nicht eröffnet (Stand 12. März 2005).

Dr. Hennig ist dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Zulassung der Anklage wie folgt entgegengetreten:

Der gegen mich erhobene Vorwurf ist unschlüssig. Gegenstand der Anklage ist meine Einlassung als Angeklagter in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Verden 9 Ds 521 Js 8338/04 (130/04) vom 21.10.04 wegen des Verdachts der strafbaren Holocaustleugnung.

Gegen diesen Vorwurf hatte ich mich seinerzeit in der Weise verteidigt, daß ich die Einlassung der Frau Ursula Haverbeck aus der Hauptverhandlung zum gleichen Gegenstand vor dem Amtsgericht Bad Oeynhausen 5 Ds 46 Js 485/03-256/04 vortrug und mir zueigen machte. (wegen des Wortlauts siehe Ursula Haverbeck, Prawda).

Dieser Vortrag vor Gericht, der in sachlichem Ton gehalten und frei von aufpeitschenden Redewendungen ist, wird von der Staatsanwaltschaft als neuerliche Verletzung des Volksverhetzungsparagraphen gewertet.

Das kann nicht richtig sein.

Die Anklagebehörde scheint übersehen zu haben, daß nach dem Wortlaut des Gesetzes die Billigung, Leugnung oder Verharmlosung der Bezugstat (hier der Judenvernichtung) für sich allein nicht den Straftatbestand erfüllt. Erst die Modalität der Äußerung, daß diese in einer Weise geschehen ist, "die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören" ergibt den Handlungsunwert, den § 130 Abs. 3 StGB sanktionieren will.

Ist eine Verteidigungsrede vor einem Strafgericht, die sich in sachlichem Ton eng an dem verhandelten Vorwurf orientiert, geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören?

Diese Frage ist für die rechtliche Betrachtung des Falles die Zentralperspektive.

Die Anklageschrift selbst gibt für die Beantwortung nichts her. In ihr wird lediglich mein Vortrag auszugsweise zitiert und dann lakonisch behauptet, daß dieser nach § 130 Abs. 3 StGB zu bestrafen sei.

Kein Jurist wird redlicherweise bestreiten können, daß ein mit Sachargumenten vorgetragener Angriff auf eine festgeschriebene Offenkundigkeit ein zielorientiertes Verteidigungsverhalten ist.

"Offenkundigkeit" im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO ist ein Werturteil. Dieses kann als solches im Strafprozeß mit Beweisanträgen angegriffen werden (vgl. Alsberg/Nüse/Meyer "Der Beweisantrag im Strafprozeß", 5. Aufl., München 1983, S. 532)

Auszug aus Alsberg/Nüse/Meyer a.a.O. S. 568:

Beweisanträge, die die auf eine Offenkundigkeit begründete Über­zeugung des Gerichts durch den Nachweis angreifen wollen, daß die Tatsache oder der Erfahrungssatz falsch oder doch in seiner Geltung nicht unangefochten, also nicht allgemeinkundig ist und daher des Beweises bedarf, müssen aber immer sachlich gewürdigt werden. Das gilt sowohl für allgemeinkundige als auch für gerichtskundige Tatsachen oder Erfahrungssätze.

Die Entscheidung darüber, ob dem Antrag stattzugeben ist, steht unter dem übergeordneten Gesichtspunkt der Aufklärungspflicht nach 5 244 Abs. 2. Nachträgliche Zweifel an der Richtigkeit einer als offenkundig behandelten Tatsache oder eines Erfahrungssatzes verpflichten das Gericht, Beweise zu erheben. Es kommt darauf an, ob in dem Beweisantrag ein vernünftiger Grund zu Zweifeln an der Wahrheit der Tatsache vorgebracht wird. Wo diese Zweifel beginnen, hat auch die Freiheit des Gerichts ihre Grenze, Beweisanträge mit der Begründung abzulehnen, die Beweistatsache sei denk- oder erfahrungsgesetzlich unmöglich. Die durch die Entwicklung der Geisteswissenschaften überreich belegte Erschei­nung, daß der Schatz unseres Erfahrungswissens ständigen Schwankungen unterworfen ist, wird das Gericht zuweilen veranlassen, selbst zu solchen Forschungser­gebnissen, die allgemein anerkannt zu sein scheinen, Beweis zu erheben. Entschei­dend ist, ob das angebotene Beweismittel dem Träger der Offenkundigkeit sach­lich überlegen, ob etwa die Kenntnis des benannten Zeugen unmittelbarer erworben, genauer und eingehender ist als die des Trägers der Offenkundigkeit..

Der Anklagebehörde scheint nicht bewußt geworden zu sein, daß sie im Begriff ist, den Angeklagten in sog. Holocaust-Prozessen das Recht zur Verteidigung zu nehmen. Das ist ein schwerer Angriff auf die Würde des Menschen (Artikel 1 Grundgesetz), denn durch diese Einschränkung der Verteidigung würde ein Angeklagter zum bloßen Objekt strafrechtlicher Sanktionierung degradiert.

Im Anklagesatz hebt die Staatsanwaltschaft hervor, daß ich meine Einlassung "in der öffentlichen Hauptverhandlung, die von Zuschauern und Pressevertretern beobachtet wurde", vorgetragen hätte. Vermutlich sieht sie darin die Eignung zur Störung des "öffentlichen Friedens".

Hier ist zunächst zu beachten, daß die Öffentlichkeit der Äußerung für sich allein nicht die Eignung zur Friedensstörung in sich trägt. Das folgt daraus, daß im Gesetzestext die "Eignung zur Friedensstörung" und die Äußerung in der Öffentlichkeit als selbständige Rechtsfolgemerkmale aufgeführt sind. Diese müssen also kumulativ und nicht nur alternativ erfüllt sein.

Zudem wäre rechtlich zu bedenken, daß die Prozeßöffentlichkeit aus der Sicht eines Angeklagten keine "gekürte" Öffentlichkeit ist. Vielmehr ordnet das Gesetz zwingend die Herstellung der Öffentlichkeit an (§ 169 GVG), die nur in wenigen Ausnahmefällen aufgrund eines ausdrücklichen Gesetzesbefehls ausgeschlossen ist bzw. ausgeschlossen werden kann (§§ 170 ff. GVG). Infolgedessen kann ein Angeklagter nur in öffentlicher Verhandlung seine Verteidigungsrechte wirksam ausüben. Es wäre also ein Verstoß gegen das Prinzip der Einheit der Rechtsordnung, wollte man einen Angeklagten einerseits zwingen, sein Verteidigungsvorbringen in öffentlicher Verhandlung anzubringen und andererseits dieses Verhalten – wie es die Staatsanwaltschaft verlangt – als strafbare Handlung ahnden. <Ende Dr. Henning>

Diese Argumentation gilt für die Anbringung von Beweisanträgen durch einen Verteidiger gleichermaßen. Daß sie notwendig ist und hier ernsthaft entfaltet werden muß, verdeutlicht den "Rücksturz in die Barbarei", den wir zur Zeit auf allen Gebieten erleben, wo Jüdische Interessen ins Spiel kommen.

Daß sich - wie ich es erlebt habe – auch erfahrene Strafverteidiger in Holocaust-Prozessen von Richtern und Staatsanwälten einschüchtern (ja gar ängstigen) lassen, gehört zu den traurigsten Kapiteln der Deutschen Justizgeschichte. Eine angemessene Reaktion wäre es, diese Justizpersonen auf offener Szene zu "verbrüllen" und so ihre ganze Erbärmlichkeit ruchbar zu machen.

Kleinmachnow am 12. März 2005