Juden 2005

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"Die Protokolle": Verkaufsschlager in Rußland

Selbst die Bibliothek des Kreml ist reichhaltig ausgestattet mit aufklärerischer Literatur über das Judentum. "Die Protokolle der Weisen von Zion" erfreuen sich, wie überall auf der Welt, auch in Rußland eines reißenden Absatzes. In Rußland sind "Die Protokolle" überall frei erhältlich während sie in der BRD verboten sind und als Fälschung gelten. Doch rein zufällig stimmen die wichtigsten Ziele der "falschen" Protokolle mit dem jüdischen Gesetz (Altes Testament) sowie mit der wirtschaftlichen und politischen Wirklichkeit in frappierender Weise überein.

Die Welt, 16.9.2005, Seite 29

"Die Leute kaufen so etwas"

Antisemitismus auf Moskaus Buchmesse

von Manfred Quiring

Mit Schweigen haben sowohl die Verantwortlichen der Moskauer Buchmesse als auch der russische Verlegerverband und die Generalstaatsanwaltschaft ein Protestschreiben von jüdischen und Menschenrechtsorganisationen Rußlands übergangen. In einem offenen Brief hatten das Moskauer Menschenrechtsbüro und der Russische Jüdische Kongreß gegen die zahlreichen antisemitischen und fremdenfeindlichen Schriften auf der Buchmesse protestiert, die gerade zu Ende gegangen ist.

Noch nie seien "auf dem wichtigsten staatlichen Bücherforum derart viele nationalistische, antisemitische und andere radikale Bücher ausgestellt" worden wie in diesem Jahr, konstatierte der Soziologe Boris Dubin nach einem Rundgang erschüttert. Für die offiziellen Institutionen war das indes kein Grund, auf das Protestschreiben zu antworten. Lediglich ein Autor chauvinistischer Literatur habe reagiert, sagte Alexander Brod vom Menschenrechtsbüro. Der Verfasser antisemitischer Schriften Michail Nasarow habe ihn und weitere Vertreter der jüdischen Gemeinschaft wegen Beleidigung seiner Ehre und Würde verklagt.

Auf der Moskauer Buchmesse wurde neben zahlreichen antisemitischen Schriften wie "Der jüdische Nazismus" oder "Dezionisierung" auch das Buch "Rätsel der Protokolle der Weisen von Zion" vorgestellt. Darin versucht der Autor Oleg Platonow, die Echtheit der "Protokolle" nachzuweisen, obwohl längst nachgewiesen ist, daß es sich um Fälschungen der russischen Geheimpolizei aus der Zarenzeit handelt, die 1905 erschienen und zahlreiche Quellen, darunter auch Romane und erfundene Dialoge, aufgriffen.

Die sogenannten "Protokolle der Weisen von Zion" sollen die vermeintlichen "Machenschaften" der Juden zur Beherrschung der Welt belegen. Auf etwa 80 Seiten, unterteilt in 24 Abschnitte, wird die angebliche globale Verschwörung ausgebreitet. Die Protokolle üben auf den weit verbreiteten russischen Antisemitismus eine besondere Anziehungskraft aus. Platonow, so berichtete Alexander Brod, verfasse beinahe jeden Monat ein neues Buch zu diesem Thema. "Mit Verdrehung und Verfälschung der Tatsachen versucht er nachzuweisen, daß tatsächlich eine zionistische Verschwörung existiert." Bisher ist ihm noch niemand in den Arm gefallen.

Natalja Rykowa, Sprecherin des Russischen Jüdischen Kongresses, vermutet auch banale kommerzielle Gründe. Es gibt in Moskau und auf dem Land eine ständige Nachfrage nach Büchern, die nationale Vorurteile anheizen. "Leider kaufen die Leute so etwas". Der Grund dafür liege auch im "täglichen Antisemitismus", der im Lande herrsche, "diese Situation hat sich nicht verändert".

Auch in Rußland ist die Verbreitung rassistischer und nationalsozialistischer Schriften verboten, doch die Verlage, die auch mit russsichen Nachdrucken von Hitlers "Mein Kampf" Geld machen, halten sich nicht daran. Sie werden allerdings auch nur selten bestraft. Gegenwärtig, so Alexander Brod, seien die national-patriotischen Kräfte wieder im Aufschwung begriffen, sie wollten Revanche nehmen für den Positionsverlust in den neunziger Jahren. Das erkläre auch die wachsende Flut derartiger Druckerzeugnisse.

Dem stemmen sich der Russische Jüdische Kongreß und das Moskauer Menschenrechtsbüro entgegen. Seit Ende Juli läuft Aktion "Stadt ohne faschistische Literatur". Ihr Ziel: "Wir wollen alle Bücher nationalistischen und fremdenfeindlichen Inhalts vom Markt nehmen", erläuterte Natalja Rykowa. Auch der Moskauer Schriftstellerverband und die Organisation der Intelligenz beteiligen sich daran. Hauseigene Juristen beschäftigten sich intensiv mit den Fällen, in denen derartige Literatur angeboten werde.

Die Anwälte könnten mit der Staatsduma im Moskauer Stadtzentrum beginnen. Den reichhaltig ausgestatteten Bücherstand im Foyer des Parlamentsgebäudes zieren Bücher wie die von der orthodoxen Kirche initiierte "Kriminelle Geschichte des Judentums" - Erscheinungsjahr 2005 - und "Der Zionismus im System des Antikommunismus", erschienen 2003.