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"Ihr wählt die Schlechtesten an die Macht,
die größten Lügner, die Unfeinsten;
Ihr seid euren Reichsten untertan, vor allem den Juden"

Die Welt, 25.10.2003, S. 10 - http://www.welt.de/data/2003/10/25/187483.html

Abend im Morgenland

Von Herbert Kremp

Osama bin Laden, der wirkt wie eine Gestalt aus einem Gemälde des Giotto von Florenz. Die halbe islamische Welt applaudiert, wenn sie seine Botschaften hören.

Aus dem modernen islamistischen Untergrund dringt beides: Bin Ladens eindringliche, sanfte Stimme, und das bewegte Bild des Mannes, der immer noch wirkt wie eine Gestalt aus einem Gemälde des Giotto von Florenz. Die Botschaften, die er, seiner Wunschrolle als Kalif vorgreifend, seit dem 11. September an die islamische Welt richtet, schienen zwischenzeitlich Schwäche, ja Hinfälligkeit auszustrahlen, gewinnen nun aber, da die Amerikaner im Irak das Ufer des Friedens so schnell nicht erreichen und alle Welt ungeduldig wird, an Kraft, an gebieterischer Magie. ...

Erst jetzt horcht man dort auf, wenn Bin Laden Bush zuruft: 

"Du bettelst die Welt an, Dir zu Hilfe zu kommen; bettelst überall um Söldner, selbst in kleinen Staaten. Dieses Betteln hat deinen Stolz zerstört und enthüllt, wie unbedeutend und schwach du bist, nachdem du erklärt hattest, die ganze Welt zu verteidigen. Jetzt gleichst du dem Ritter, der die Menschen vor dem Schwert des Malik (Titel für angemaßte Herrscher) beschützen wollte und der am Ende andere anbettelt, ihm selbst Schutz zu gewähren."

Was uns wie eitle Rhetorik anmutet, dringt tief in islamische Seelen ein, die sich im Hass gegen die Amerikaner, den Westen, die "Kreuzfahrer" verengen. Bin Laden arbeitet sich aber nicht nur emotional vor, er tut es auch rational, mit aller Raffinesse: Das tägliche Chaos, die täglichen Blutopfer der USA im Irak lassen ihn seine immerwährende These wiederholen, die Amerikaner seien innerlich, moralisch und daher im Letzten auch militärisch schwach, also besiegbar. ...

Die halbe islamische Welt ... applaudiert auch den Drohgebärden gegenüber allen, auch arabischen Regierungen, die sich an die Amerikaner anlehnen oder ihnen Hilfestellung geben. ...

Der fromme Terrorist entwickelt eine Geisterstimme im tieferen Sinne des Worts, wenn er jetzt dazu übergeht, allen Amerikanern die Sittlichkeit abzusprechen:

"Ihr wählt die Schlechtesten an die Macht, die größten Lügner, die Unfeinsten; Ihr seid euren Reichsten untertan, vor allem den Juden, die euch mit der Lüge der Demokratie dazu verführen, die Israelis zu unterstützen, deren Machenschaften unserer islamischen Religion unversöhnlich entgegenstehen."

Es wäre gefährlich, den Mann, der wie ein ziehender Hirte einherkommt, zu unterschätzen.


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