Politik 2003

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Geht die Pax Americana wegen ihrer
Schulden unter wie einst das Zarenreich?

Was Hegemonie kostet

Schurkenstaaten zu erobern ist teuer - Amerika häuft riesige Schulden an

von Niall Ferguson

New York - Kann eine Supermacht auch super verschuldet sein?

"Der britische Historiker Eric Hobsbawm: 'Die Berufskrankheit einer Weltmacht ist der Größenwahn'. ... Für den französischen Historiker Emmanuel Todd, dessen 'Nachruf' auf die Vormacht USA an der Spitze der europäischen Buch-Bestellerlisten steht, ist Bushs Amerika kein wohlwollender Hegemon mehr, sondern ein Koloss im Kippen. Die USA erfänden sich unbedeutende Feinde wie den Irak, 'weil sie mit aller Gewalt den Eindruck erhalten wollen, das Zentrum der Welt zu sein'. Das wecke Angst, und Angst schaffe diplomatische und politische Gegengewichte, wie die USA bei den Irak-Debatten des Weltsicherheitsrats zu spüren bekam. Der Autor Todd sieht als Folge des Irak-Kriegs die Herren der Welt in tiefsten Schwierigkeiten. Der Niedergang der USA als alleinige Supermacht werde sich beschleunigen und als Gegenkraft, so der optimistische Franzose, ein emanzi-piertes Europa erwachsen: 'Amerikas Macht wird gebrochen'."

Der Spiegel 17/2003, Seite 24

Die Debatten über die Kosten der Besetzung des Irak und des Wiederaufbaus der zerstörten Wirtschaft gehen dieser Frage gerne aus dem Weg. Es ist, als ob solche Kosten lediglich ein weiterer Posten im Militärbudget der Regierung seien. Tatsächlich ist es unwahrscheinlich, dass die direkten Ausgaben der Regierung für Hilfsleistungen und Wiederaufbau besonders hoch ausfallen. Nachdem sie den Krieg mit wenig Geld gewonnen haben (79 Milliarden Dollar ist weniger als ein Prozent des jährlichen Ertrags der amerikanischen Wirtschaft), scheint die Bush-Administration zu hoffen, dass der Wiederaufbau des Irak sich bald selbst finanziert. Für das Office for Reconstruction and Humanitarian Assistance wurden lediglich 2,4 Milliarden Dollar eingeplant.

Die Geschichte zeigt jedoch, dass für den Wiederaufbau des Irak beträchtliche Mengen ausländischen Kapitals erforderlich sein werden, besonders bei der Modernisierung der veralteten Ölindustrie. Können die USA das notwendige Bargeld zur Verfügung stellen? Die Antwortet lautet ja - solange andere Staaten bereit sind, es den USA zu leihen. Denn Tatsache ist, dass Amerika nicht nur die größte Wirtschaft der Welt ist. Es ist außerdem der Welt größter Kreditnehmer. Die beeindruckende militärische Macht wird von ausländischem Kapital getragen. Das ist ein ungewöhnlicher Umstand.

In der Glanzzeit der europäischen Mächte erwartete man, dass die dominierende Macht ein Gläubiger ist, nicht ein Schuldner, und dass sie große Teile ihrer Ersparnisse in die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Kolonien investiert.

Heute dagegen, da Amerika "Schurkenstaaten" stürzt, zuerst in Afghanistan und jetzt im Irak, ist es der größte Schuldner der Welt. Das könnte zu einer zerbrechlichen Pax Americana führen, wenn sich ausländische Investoren entscheiden, ihr Engagement in der US-Wirtschaft zu reduzieren, um ihre Dollar gegen den kräftigen Euro einzutauschen.

Ausländische Investoren haben in den USA jetzt Forderungen, die sich auf acht Billionen Dollar der Finanzreserven belaufen. Das ist das Resultat des seit 1982 immer größer werdenden amerikanischen Zahlungsbilanzdefizits, das sich auf fast drei Billionen Dollar beläuft. Im letzten Jahr lag das Zahlungsbilanzdefizit, die Differenz zwischen dem, was in das Land fließt, und dem, was hinaus fließt, bei fünf Prozent des Bruttosozialprodukts. Dieses Jahr könnte es noch höher liegen.

Das "Wall Street Journal" fragte neulich: "Sind die USA abhängig von ausländischem Kapital?" Die Antwort lautet ja, und das trifft auf die Regierung sogar noch mehr zu als auf den privaten Bereich.

Als das letzte große englischsprachige Empire vor hundert Jahren die Welt eroberte, war der Export von Kapital ein Pfeiler seiner Macht. Von 1870 bis 1914 betrug der Kapitalstrom aus London durchschnittlich vier bis fünf Prozent des Bruttosozialprodukts. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs erreichte man unglaubliche neun Prozent. Das war auch der bemerkenswerte Versuch, die Weltwirtschaft zu verwandeln, indem man in die wirtschaftliche Infrastruktur investierte - Docks, Eisenbahnen und Telegrafenleitungen - in Ländern, die man heute weniger entwickelt nennen würde.

Von 1865 bis 1914 war der Teil des britischen Vermögens, der nach Afrika, Asien und Lateinamerika floss, fast genauso groß wie der Teil, der in Großbritannien blieb. Kritiker des Kolonialismus mögen über die Bösartigkeit des Empire schimpfen, doch der eine, nicht zu leugnende Vorteil der britischen Hegemonie war es, dass sie Investoren dazu ermutigte, ihr Geld in armen Ländern zu investieren. Außerdem brachte es den Briten erheblichen Einfluss auf den Rest der Welt. Die britische Herrschaft in Ägypten fing nicht mit der militärischen Besetzung 1882 an. In den Jahren zuvor hatten britische Investoren ihre Anteile an ägyptischen Objekten beständig ausgebaut (zum Beispiel am Suez-Kanal). Das könnte sich als entscheidender Unterschied herausstellen zwischen der Zeit, als Großbritannien im Mittleren Osten Macht ausübte, und der heutigen Zeit, da die USA danach streben, die Region neu zu gestalten. Zunächst einmal deutet bei der Verteilung amerikanischer Auslandsinvestitionen wenig auf eine natürliche Neigung hin, Dollar in die Wüste zu stecken. Über die Hälfte aller amerikanischen Auslandsinvestitionen liegen in Europa, im Mittleren Osten ist es verglichen damit nur ein lächerliches Prozent.

Außerdem gibt es keine Garantie dafür, dass ausländische Investoren auf unbestimmte Zeit dazu bereit sind, einen derart großen Anteil ihres Vermögens in amerikanische Staatsanleihen und andere Wertpapiere zu stecken. Momentan scheinen sie zufrieden zu sein mit der Aussicht auf ein drittes Jahr von enttäuschenden Gewinnen an der Wall Street. Aber wie lange werden sie noch zufrieden sein?

Vor nicht allzu langer Zeit, von 1984 bis 1987, wurden Dollar auf die Währungsmärkte geworfen. Eine weitere Vertrauenskrise ist vorstellbar, besonders wenn all die ausländischen Aktionäre sich Sorgen machen, weil die Bush-Administration zunehmende Militärausgaben mit abnehmenden Steuereinnahmen kombiniert.

Seit der Schaffung des Euro bietet sich den Investoren eine völlig neue Bandbreite von Wertpapieren, in die man investieren kann. Europäische Wertpapiere gewinnen möglicherweise an Attraktivität, wenn man im Ausland den Eindruck erhält, dass der Euro sicherer ist als der Dollar. Es gibt jedoch einen Schimmer der Hoffnung. Die gute Nachricht ist, dass es auch in der Vergangenheit ein Weltreich gab, das von ausländischen Anleihen abhängig war. Die schlechte Nachricht ist, dass es das zaristische Russland war, das auf eine Reihe ausländischer Anleihen angewiesen war, um sein Militär zu modernisieren - größtenteils von französischen Investoren.

Der Haken an der Sache war es, dass die russische Abhängigkeit von französischem Kapital dazu führte, dass die zaristische Regierung Ratschläge aus Paris befolgen musste - zum Beispiel dazu, wie viele Eisenbahnlinien man zur preußischen Grenze bauen sollte. Und wo hat das geendet? Russland war das erste europäische Kaiserreich, das zusammenbrach.

Daher hat Präsident Bushs Vision einer durch militärische Gewalt neu gestalteten Welt nach amerikanischem Geschmack eine pikante Nebenwirkung: Die erforderlichen militärischen Anstrengungen werden (unwissentlich) von den Europäern finanziert - darunter auch die viel geschimpften Franzosen - und von den Japanern. Gibt das ihnen nicht auch ein wenig Recht auf Beeinflussung der amerikanischen Politik, nach dem Prinzip, dass der, der bezahlt, auch bestimmen darf?

Der Autor ist Professor für Geschichte an der New York University. Kürzlich erschien sein Buch "Empire. The Rise and Demise of the British World Order and the Lessons for Global Power"

Die Welt, 2.6.2003, Seite 5

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