Jüdische Studien 2011

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Erstveröffentlichung dieses Artikels: 01/01/2012 - Quelle: NJ-Autoren

In Israel, Frauen in den Bussen nach hinten, wie einst die Neger in den USA

Die Welt, 28.12.2011, S. 8

Unzüchtige Dreijährige

In Israel fordern Ultraorthodoxe eine strikte Geschlechtertrennung, selbst im Kindergarten. Frauen auf Werbeplakaten sieht man längst nicht mehr. Die Regierung gibt klein bei.

Sie sehen in den Frauen einen Sack voll Exkremente.

Sie streiten um die richtige Sichtweise im Zusammenhang mit Frauen. Frauen müssen in Israel in den Bussen nach hinten, wie einst die Neger in den USA.

Als sich eine fromme Frau im Bus zu den Männern setzte, wurde sie als Hure beschimpft. Ein Rabbi empfahl Soldaten, lieber zu sterben, als singenden Frauen zuzuhören.

Frau S. fährt heute Bus, und sie ist aufgeregt. Ihre letzte Busreise, vor etwa einem Jahr, endete in Tränen. Frau S., die ihren Namen lieber nicht nennen möchte, ist keine ultraorthodoxe Jüdin, aber eine fromme Frau ist sie schon.

Niemals würde sie am Sabbat einen Lichtschalter betätigen oder mit dem Auto fahren, sie hält sich an die jüdischen Speisevorschriften, trägt nie aufreizende Kleidungsstücke und bemüht sich auch sonst um einen gottgefälligen Lebenswandel. Aber was der Busfahrer da vor einem Jahr von ihr verlangte, ging ihr dann doch zu weit.

"Er sagte, Frauen müssten hinten einsteigen und hinten sitzen", erzählt sie, und ihre Wut ist keineswegs verflogen. Die Geschlechtertrennung solle verhindern, dass den Männern beim Anblick einer Frau unanständige Gedanken kämen, erklärt sie und fügt schelmisch hinzu: "Wenn die das nötig haben…"

Von einem Mann als "Hure" beschimpft

An jenem Tag, da sei jedoch hinten im Bus kein Sitzplatz mehr frei gewesen. "Ich hätte stehen müssen, und ich war müde", sagt Frau S. Da sei sie kurzerhand an den wenigen orthodoxen Männern vorbeigegangen und habe sich in eine noch leere Reihe im vorderen Teil des Busses gesetzt. "Sofort drehte sich ein junger Mann zu mir um, beschimpfte mich als ‚Hure‘ und fragte, ob ich denn nicht wisse, was sich gehöre."

Einige Passagiere stimmten mit ein, andere schwiegen, niemand eilte ihr zu Hilfe, nicht einmal der Busfahrer. "Heulend bin ich bei der nächsten Haltestelle ausgestiegen", sagt sie. ...

Schilder für eine "freiwillige Geschlechtertrennung"

Das wunderbare jüdische Gesetz in der einzigen Demokratie im Nahen Osten!

"Eine Frau ist ein Sack voller Exkremente." (1)

"Mit Israel haben wir ein Land geschaffen, in dem Frauen mit Hundescheiße gleichgesetzt werden. Frauen gelten als etwas, das man von seinen Schuhsohlen abkratzt." (2)

"Orthodoxe jüdische Rechtsexperten haben ein Gesetz eingebracht, das für Frauen eine sieben-jährige Gefängnisstrafe vorsieht, wenn sie aus der Tora lesen oder an der Klagemauer Gebetstücher tragen." (3)

1

I. Shahak and N. Mezvinsky, Jewish Fundamentalism in Israel, Pluto Press, London 1999, p. 38

2

Andrea Dworkin, "Israel: Whose Country Is It Anyway?" 1990.

3

JTA (Jewish Telegraph Agency) 31 May 2000

In den Bussen sollten Schilder angebracht werden, die eine "freiwillige Geschlechtertrennung" fördern sollten. Die Richter wiesen den Vorschlag zurück. Aber er ist typisch für die Tendenz der israelischen Regierung, vor den Forderungen der Orthodoxen zu kapitulieren.

Landesweit stellen die Charedim, die Gottesfürchtigen, gerade einmal zwölf Prozent der Bevölkerung. Aber ihr Anteil wächst, etwa 30 Prozent der jüdischen Neugeborenen haben heute ultraorthodoxe Eltern. Dass viele Charedim nicht arbeiten, von Sozialhilfe und Kindergeld leben und zudem auch nicht den eigentlich obligatorischen Armeedienst leisten, damit haben sich die säkularen Israelis zähneknirschend abgefunden.

Und weil seit Jahrzehnten kaum eine Koalitionsbildung ohne Beteiligung der orthodoxen Parteien geglückt ist, wird sich daran wohl auch nichts ändern. Doch den Ultraorthodoxen geht es nicht darum, den Status quo beizubehalten, sie versuchen mit großer Hartnäckigkeit und beachtlichem Erfolg, ihren gesellschaftlichen Einfluss auszuweiten.

Keine Frauen auf den Werbeplakaten

Am deutlichsten spürt man das wohl in Jerusalem. Wer in der Heiligen Stadt ein am Sabbat geöffnetes Restaurant finden möchte, muss sich schon gut auskennen oder lange suchen. Kinos, die auch nur mit einem Schekel von der Stadtverwaltung gefördert werden, dürfen am Wochenende keine Filme zeigen. Und wer aufmerksam durch die Straßen geht, wird feststellen, dass es auf den Werbeplakaten keine Frauen gibt.

Hier sind es Männer, die auf den Werbeflächen Lebensmittel verkaufen, die mit ihren Kindern – nein, natürlich nur mit ihren Söhnen – spazieren gehen, und die glücklich ein Päckchen Waschmittel nach Hause tragen.

Mit Gleichberechtigung hat das nichts zu tun, im Gegenteil. Der Anblick von Frauen ist für die Orthodoxen eben tabu. Die nationale Organspendeorganisation dachte jüngst, wenn es um einen guten Zweck gehe, dürfe man zumindest kleine Mädchen abbilden – und wurde eines Besseren belehrt. Die Plakate wurden zerstört, bis die Mädchen verschwanden. Nach lautem Protest will die Organisation nun einen weiteren Versuch wagen. Selbst die Stadtverwaltung macht bei der Selbstzensur mit: Die neue Straßenbahn wird auf ihren Postern nur von Männern und Jungen benutzt, bestenfalls ist mal ein Frauenschuh zu sehen.

Ärger um Werbeplakate habe es in Jerusalem schon immer gegeben, sagt Zeev Abramson. Der Chef der Werbeagentur Poster Media in Tel Aviv ist schon lange im Geschäft. Früher, also vor etwa 15 Jahren, habe man sich um angeblich unzüchtig gekleidete Frauen gestritten.

Die Orthodoxen hätten bei ihm angerufen, sich über einen tiefen Ausschnitt beschwert oder einen kurzen Rock. Ein Plakat zur Saisoneröffnung des Nationaltheaters Habima wurde zum Problem, weil ein Schauspieler einer Kollegin mit zwei Fingern an der Schulter berührte.

Berührung zwischen Frauen und Männern tabu

Die Orthodoxen schwärzten die beiden Finger auf allen Plakaten in der Stadt – und hatten einen Sieg errungen. Jede Berührung zwischen Frauen und Männern auf Werbeplakaten ist seitdem tabu. "Es wurde mit jedem Jahr schlimmer", sagt Abramson. Irgendwann wurde er von einflussreichen Orthodoxen persönlich bedroht, er zog vor Gericht und gewann.

Doch der Prozess der Selbstzensur war nicht aufzuhalten. "Niemand traut sich heute in Jerusalem mehr, überhaupt Frauen auf Werbeplakaten abzubilden, selbst wenn sie züchtig gekleidet sind", klagt er.

In den Wohngebieten der Orthodoxen gelten längst ganz eigene Regeln. Die Straßen werden am Sabbat von der Stadtverwaltung gesperrt, Schilder am Eingang des Viertels Mea Schearim informieren über eine detaillierte Kleiderordnung: "Wir bitten Sie aus vollem Herzen: Bitte betreten Sie unser Viertel nicht in unzüchtiger Kleidung. Züchtige Kleidung besteht aus einer geschlossenen Bluse, langen Ärmeln, einem Rock – keine Hose."

Die wenigen Eisdielen haben hier getrennte Eingänge für Frauen und Männer, in den Supermärkten zahlen die Geschlechter an verschiedenen Kassen – solange das freiwillig geschieht, mischt der Staat sich nicht ein.

Jedes Jahr neue Fortschritte?

Als die Bewohner von Mea Schearim allerdings während des Laubhüttenfestes im Oktober eine zwei Meter hohe Wand zur Trennung der Geschlechter auf den Straßen aufbauten und private Sicherheitsleute Frauen und Männer auf die jeweilige Seite der Trennwand wiesen, wurde es Rachel Asarie zu bunt. Die 33-jährige Stadtratsabgeordnete zog vor das Oberste Gericht – und gewann.

Dort Beinisch, die Vorsitzende Richterin, forderte die Polizei auf, die Trennwand umgehend zu entfernen. Und wieder waren es die Anwälte des Staates, die die unselige Trennwand verteidigten. Die Situation sei "nicht ideal", gaben sie zu. Eine Lösung müsse aber ein "gradueller Prozess" sein. Außerdem mache man doch jedes Jahr Fortschritte.

Richterin Beinisch wollte nichts davon hören: "Es begann mit Bussen, ging mit Supermärkten weiter und ist jetzt in den Straßen angekommen", entgegnete sie. Das Phänomen verschwinde nicht einfach von selbst, "ganz im Gegenteil".

Die Geschichte war damit nicht erledigt. Die Stadtratsabgeordnete Asaria wurde prompt vom Bürgermeister aus der Regierungskoalition verbannt. Das habe natürlich nichts mit dem Zwischenfall zu tun, hieß es. In Wahrheit wollte der säkulare Bürgermeister bei den Orthodoxen wohl etwas Wiedergutmachung leisten.

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Beobachter fragen sich oft, warum sich eine moderne Gesellschaft wie die israelische von einer orthodoxen Minderheit in Geiselhaft nehmen lässt. Der Grund dafür ist nicht nur die überproportionale politische Macht der Orthodoxen als Zünglein an der Wage. Tatsächlich ist ein konsequenter Säkularismus für viele Israelis ein rotes Tuch, weil sie um die jüdische Identität ihres Staates fürchten.

Die hat zwar für jeden eine andere Bedeutung, doch auch überwiegend säkulare Israelis sind bereit, einen Preis für die Portion Judentum zu zahlen. Zudem ist die israelische Bevölkerung gar nicht so säkular, wie es auf der Strandpromenade von Tel Aviv den Anschein hat. Die Orthodoxen sind eine Minderheit, aber gemeinsam mit den nationalreligiösen Juden und religiösen Traditionalisten stellen sie die Bevölkerungsmehrheit.