Den Horror überlebt
Autor erzählt Erlebnisse von Nazi-Konzentrationslager
ST.LAURENT - Als elfjähriger Häftlingsjunge wurde Moshe Peer
mindestens sechsmal in die Gaskammer
des Konzentrationslagers Bergen-Belsen geschickt. Er überlebte jedes Mal
und beobachtete dabei mit Grauen, wie die mit ihm in die Gaskammer
gebrachten Frauen und Kinder um ihn herum vergast zusammenbrachen und
starben. Bis zum heutigen Tag weiß Peer selber nicht, wie er die Vergasungen
überleben konnte. "Vielleicht widerstehen Kinder besser, ich weiß nicht,"
sagte Peer in einem Interview letzte Woche.
Die letzten 19 Jahre arbeitete der jetzt 60jährige Peer an einem Buch über
seine Horror-Erlebnisse in Bergen-Belsen, die er als Rechenschaftsbericht
aus erster Hand versteht. Am Sonntag sprach er vor etwa 300 jungen
Erwachsenen in der Petah Tikva Sepharden Gemeinde in St. Laurent über sein
Buch und seine Erfahrung als Holocaust-Überlebender.
Die Versammlung war Teil des von der Synagoge ausgerichteten Shabbaton 93,
an dem junge Erwachsene (Juden) aus ganz Nordamerika zum Zwecke eines
kulturellen und sozialen Erlebnisses teilnahmen.
Peers Buch mit dem Titel "Unvergeßliches Bergen-Belsen" vermittelt dem Leser
das Gefühl, als sei er Zeuge der Belsener Szenerie. Peer gibt aber zu, daß
er es nie schaffen wird, die von ihm erlebte lebendige Hölle
wirklichkeitsgetreu darzustellen. "Der Zustand im Lager ist nicht zu
beschreiben." sagte Peer. "Es ist nicht möglich, den Horror mit nach Hause
zu nehmen." 1942, im Alter von 9 Jahren, wurden er und sein jüngerer Bruder
und Schwester in ihrer Heimat Frankreich verhaftet. Ihre Mutter kam nach
Auschwitz. Sie kehrte nicht zurück. Peer und seine Geschwister kamen zwei
Jahre später nach Bergen Belsen. Für ihn war die Trennung von seinen Eltern
eine Marter, aber im Lager überleben zu wollen, wurde rasch zur Priorität.
"Da lagen Teile von Körpern und ganze Körper herum. Manche lebten, manche
waren tot," erinnert sich Peer. "Bergen Belsen war schlimmer als
Auschwitz. In Auschwitz wurden die Leute sofort vergast, wodurch sie nicht
lange leiden mußten. Aber in Bergen-Belsen verbrachten die Menschen Monate
um Monate, bis sie starben. Sie litten eine lange Zeit." Peer berichtete von
russischen Gefangenen, die in einem offenen Lager "wie Hengste" gehalten
wurden. Sie bekamen kein Wasser und nichts zu Essen. "Einige drehten wegen
des Hungers durch. Es entstand Kannibalismus," berichtete Peer.
Peers Tage im Lager begannen mit dem Appell der nummerierten Gefangenen.
Diese Appelle konnten bis zu fünf Stunden dauern, während die Aufseher
feststellten, wie viele Gefangene verstorben waren. Fiel jemand während des
Appells um, wurde er auf der Stelle geschlagen. Nach dem Appell mußten die
Gefangenen wieder in ihre Baracken zurück, wo sie ein kleines Stückchen Brot
mit gefärbtem Wasser erhielten.
Peer und seine Geschwister - die alle überlebten - wurden von zwei
Lagerfrauen versorgt. Es gelang ihm nicht, die beiden Frauen nach dem Krieg
ausfindig zu machen.
Kinder spielten im Lager Fangen. Aber es gab immer welche, die zu schwach
oder zu krank waren, um hoch zu kommen.
Nach dem Krieg traf sich Peer wieder mit seinem Vater und seiner Familie in
Paris und sie gingen nach Israel. Peers vier Kinder wurden dort geboren.
Nach dem Militärdienst in einigen Kriegen wanderte Peer 1974 nach Montreal
aus. Selbst 49 Jahre später wird Peer immer noch von seinen Erlebnissen
heimgesucht und liegt nachts wach. Was ihn aber am meisten verbittert, ist,
daß der Rest der Welt zuschaute und den Holocaust geschehen ließ.
"Niemand sagte den Deutschen, es nicht zu tun. Sie hatten die Erlaubnis der
ganzen Welt," sagte er. |