Politik 2006
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Erstveröffentlichung dieses Artikels: 2006 - Quelle: NJ-Autoren

Die Europäer haben die Wahl zwischen Orwellianismus und Bolschewismus

Der Terror komme über die Völker Europas, könnte man den Zustand EU-Europas beschreiben, liest man die aufklärerischen Beiträge von Daniel Hannan in der WELT. Gemäß Hannan sind die Hälfte der EU-Offiziellen sind einem marxistischen Geschichtsbild ergeben (Fundis), die andere Hälfte hat sich einer Art Orwell-Unterdrückungsregime verschrieben (Realos).

Beide volksfeindliche Gruppen weigern sich, Abstimmungsergebnisse aus Refenderen wie z.B. in Frankreich und Holland zu akzeptieren. Wehren sich die Völker gegen das ihnen zugedachte Unterdrückungssystem, wird eben solange gewählt, bis das richtige Ergebnis herauskommt. Über Demokratie, die sie predigen, lachen sie nur herzhaft, wenn sie sich zu ihren geheimen Sitzungen treffen.

Weigern sich die Völker Europas, die für sie tödlichen Systeme von Neobolschewismus bzw. Orwellianismus jauchzend aufzunehmen, werden sie von den Bolschewisten als Idioten beschimpft und von den Orwellianisten ganz einfach ignoriert. Die Bolschewisten erklären kurzum, dem Stimmvieh fehle das richtige Bewußtsein, weshalb ein großes Umerziehungsprogramm her müsse, während die Orwellianisten ihren antidemokratischen Terror gänzlich ohne Mitwirken der Völker durchzusetzen gedenken. In beiden Fällen könnte es für die Völker Europas noch schlimmer kommen als weiland für die Menschen unter dem bolschewistischen Kommissaren-Regime.

Die öffentliche Meinung, also das demokratische Empfinden der Menschen in Europa, ist beiden Lagern ihnen vollkommen gleichgültig. Gerade so wie seinerzeit im Bolschewismus bzw. wie bei Orwell beschrieben. Es wird einfach so weitergemacht, als hätten die Franzosen und Holländer bei der Abstimmung über die EU-Verfassung tatsächlich mit JA gestimmt. In zynischer Mißachtung der Nein-Voten hat die EU die meisten im Konstitutionskonzept vorgesehenen Institutionen gegründet, die aber nur unter einer von allen EU-Staaten angenommenen Verfassung hätten gegründet werden dürfen.

Die Verfolgungsmechanismen gegenüber Systemkritikern im EU-Bereich werden tagtäglich verschärft und immer mit immer größerer Brutalität durchgesetzt. Orwell würde erblassen vor Neid!

Die Welt, 24.12.2005, Seite 6

Realos und Fundamentalisten in Europa

Beide Gruppen streiten sich, doch die Verfassung werden sie gemeinsam durchfechten - gegen den Willen der Völker

von Daniel Hannan

Brüssel - In Brüssel vollziehen sich die erbittertsten Kämpfe nicht etwa zwischen Anhängern und Gegnern der europäischen Konstitution. Vielmehr gibt es eine Spaltung innerhalb der Pro-Integrations-Bewegung zwischen jenen, die die Verfassung formell wiederzubeleben trachten, und jenen, die deren Inhalte am liebsten unauffällig in die politische Realität hineinschmuggeln würden.

In Anlehnung an die Terminologie der deutschen Grünen könnten wir die beiden Fraktionen Fundis und Realos nennen. Die Fundis rekrutieren sich aus jenen Regierungen der Mitgliedsländer, die einen europäischen Bundesstaat anstreben, den meisten europäischen Kommissaren und fast allen Mitgliedern des Europäischen Parlaments.

Sie alle weigern sich, das Verdikt der jüngsten Referenden zu akzeptieren. Aus ihrer Sicht haben die Franzosen und Niederländer gegen Chirac oder gegen die Türkei oder gegen den angelsächsischen Liberalismus votiert - gegen alles Mögliche, nur nicht gegen das, was laut Wahlzettel zur Entscheidung anstand.

Diese Völker müssen solange immer wieder zur Wahlurne schreiten, bis das richtige Ergebnis herauskommt. Schließlich hat es genau so schon in Dänemark funktioniert, als es um den Maastricht-Vertrag, sowie in Irland, als es um den Nizza-Vertrag ging.

Den Fundis ist ein nahezu marxistisches Geschichtsbild eigen. Sie betrachten die europäische Vereinigung nicht nur als wünschenswert, sondern als historisch unausweichlich. Wenn die Wähler nicht dahinterstehen, leiden sie an falschem Bewußtsein und müssen umerzogen werden.

Den Realos hingegen ist die öffentliche Meinung gleichgültig. Sie sind sich darüber im klaren, daß es die Europäische Union nie so weit gebracht hätte, wenn jeder einzelne Akt der Kompetenzübertragung nach Brüssel den nationalen Wahlvölkern zur Zustimmung hätte vorgelegt werden müssen. Statt dessen hat die EU sukzessive an Macht gewonnen, indem sie ihre Zuständigkeit still und leise auf immer neue Politikfelder ausdehnte und dann die Bürger der einzelnen Länder vor vollendete Tatsachen stellte. Entsprechend haben die Realos - zu denen die Mehrzahl der nationalen Regierungen und die Eurokraten mit eher nüchternem Naturell zählen - einfach so weitergemacht, als hätten die Franzosen und Holländer tatsächlich mit Ja gestimmt.

Sie haben die Keimzelle eines diplomatischen Korps ins Leben gerufen, das als Europäischer Auswärtiger Dienst bekannt ist. Sie sind dabei, eine europäische Staatsanwaltschaft aufzubauen. Sie agieren, als sei die Grundrechtecharta der europäischen Verfassung in Kraft. Doch all das wäre nur durch die Konstitution legitimiert, keineswegs jedoch durch die bestehenden Verträge. Nicht, daß dies irgendwen in Brüssel stören würde.

In trotziger Mißachtung der Nein-Voten hat die EU die meisten in der Verfassung vorgesehenen Institutionen gegründet: die Agentur zur Überwachung der EU-Außengren-zen, die Menschenrechtsagentur, die Rüstungsagentur, das europäische Weltraumpro-gramm.

Als Euro-Skeptiker hat mich das klammheimliche Vorgehen der Realos immer schon mehr alarmiert als der Idealismus der Fundis.

Meine Befürchtung ist, daß in zwei Jahren 90 Prozent der Verfassungsinhalte umgesetzt sein könnten. Die wenigen verbleibenden Artikel - die Veränderung der Ländergewichte im EU-Parlament zum Beispiel - könnten dann auf einem Miniregierungsgipfel beschlossen werden. Niemand würde diese Änderungen noch für wichtig genug erachten, um sie den Völkern zur Billigung vorzulegen. Und so hätten wir die gesamte Konstitution bis 2008 in Kraft gesetzt ohne ein einziges zusätzliches Referendum.

Zu meiner Freude allerdings schlagen die Fundis zurück. Das Glück will es, daß drei der vier Regierungschefs, welche die EU-Präsidentschaft in nächster Zeit innehaben werden, Paläoföderalisten sind. Von nächster Woche an hat der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel das Zepter in der Hand, der sich unlängst bereits mit dem Kommentar zu Wort meldete: "Die Verfassung ist nicht tot." Dann folgt - vorausgesetzt, die Kanzlerin ist dann immer noch in Amt und Würden - Angela Merkel, die von sich sagt, sie habe "die klare Absicht, die Verfassung wiederzubeleben". Schließlich, im Jahr 2007, ist José Socrates aus Portugal an der Reihe, der gelobt hat, den Prozeß zu Ende zu bringen, sollte Merkel dies nicht mehr vergönnt sein.

Dazu kann ich nur sagen: Wunderbar! Sooft Ihr die Frage stellt, werdet Ihr die gleiche Antwort erhalten: Welchen Teil von "Nein" habt Ihr nicht verstanden?

Der Autor ist britischer EU-Abgeordneter.