Politik 2005

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Der Kanzler als Speichellecker in der Türkei

Zusätzliche zwanzig Millionen Jungtürken werden Deutschland überrennen, wenn die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beginnen. Schröder und Konsorten geben dem deutschen Volk damit den Todesstoß.

Die Welt, 6.5.2005, Seite 4

Erdogan kommt Schröder keinen Millimeter entgegen

Kanzler vermeidet offene Kritik an türkischen Reformdefiziten und hofft auf einen "Mentalitätswandel"

von Nikolaus Blome

Ankara/Istanbul - Als der Rektor der Istanbuler Marmara-Universität den frischgekürten Ehrendoktor Gerhard Schröder für seine Jahre als "Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen" lobt und für seine Bedeutung als "international herausragender Rechtsgelehrter", da grinsen nur die Deutschen im Saal. Der Bundeskanzler ist beides nie gewesen, beim besten Willen nicht. "Typisch türkisch" konnte man denken: In großer Herzlichkeit, so rührend wie unbeholfen, wird da Deutschland und einem Kanzler gedankt, der den Türken das Tor zur Europäischen Union weiter aufgestoßen hat als irgend jemand vor ihm in über 40 Jahren.

Wenn da nicht, kaum sechs Stunden zuvor, die Pressekonferenz des Kanzlers mit Ministerpräsident Tayyip Erdogan gewesen wäre: Der Türke kam dem Deutschen politisch keinen Millimeter bei den heiklen Punkten entgegen; viele Fragen der türkischen Journalisten strotzten vor Nationalismus, und der Kanzler schließlich reduzierte die Massaker an Armeniern vor 90 Jahren auf das Wort von "Vorgängen, die seinerzeit stattgefunden haben". Doch nicht einmal dafür bedankte sich ein eisiger Erdogan mit einem Lächeln. Typisch türkisch?

Es war ein schwieriges Terrain, auf das sich Gerhard Schröder am Mittwoch für einen Tag lang begab; zu gewinnen gab es nicht viel, zu verlieren schon. In der Europäischen Union wächst die Skepsis ganz allgemein, besonders aber gegen einen Beitritt der Türkei, die ab dem 3. Oktober mit Brüssel offiziell verhandeln soll. Auch durch die Türkei geht eine Welle von Abneigung gegen die Auflagen und Vorgaben der EU, dazu kommen Ausbrüche von Nationalismus und Polizeibrutalität alter Schule.

Doch der Kanzler blieb bei dem Motto: Krise, welche Krise? "Ich bin nicht zur Kontrolle hier", sagte er an die Adresse Erdogans, "sondern als Freund." Wegen ein paar schlechter Umfragen dürfe eine Entscheidung von derart historischer und geostrategischer Bedeutung nicht in Frage gestellt werden, so der Kanzler. Natürlich werde es Probleme geben, "sogar Rückschläge", auf dem Weg der Türkei nach Europa. Das neue Denken, die Reformen Erdogans müßten erst das ganze Land durchtränken. Man werde also viel Geduld brauchen, sagte Schröder, der viel von einem "Mentalitätswandel" sprach - für den es im türkischen Wortschatz allerdings eine gebräuchliche Übersetzung nicht gibt.

Und so übte der Kanzler Geduld und nahm Rücksicht: am wenigsten noch auf die Hartleibigkeit Ankaras, den orthodoxen Christen wieder ein autonom geführtes Priesterseminar zu gestatten. Schröder besuchte demonstrativ deren Oberhaupt, Bartholomaios I., und sprach "die volle Freiheit der Religionsausübung" mehrfach an. Weniger deutlich blieb der Kanzler in Sachen Armenien. Er erklärte zwar, daß jede Nation gut daran tue, sich der eigenen Vergangenheit mitsamt ihren dunklen Punkten zu stellen. Doch wurde aus dem "schrecklichen Schicksal Hunderttausender Armenier" im vorab verteilten Redetext dann in der tatsächlich vorgetragenen Rede an der Marmara-Universität "das schreckliche Schicksal vieler Menschen aus Armenien". Kleinigkeiten sind das nur, aber es war nun einmal ein vorab derart aufgeladener Besuch, daß Kleinigkeiten zählten.

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Letztlich ja auch für den Kanzler: Der türkische Ministerpräsident hat in den Gesprächen eingewilligt, daß eine international besetzte Historikerkommission das Schicksal von über einer Million Armeniern neu untersuchen soll - was die Armenier nun ungefähr so berührt, wie es Polen berühren würde, wenn eine deutsche Regierung vorschlüge, noch einmal der Frage nachzugehen, wie eigentlich genau der Zweite Weltkrieg begann. Trotzdem forderte Gerhard Schröder die armenische Regierung zur Zustimmung auf und lobte seinen türkischen Amtskollegen mehrfach. Erdogan steht innenpolitisch erheblich unter Druck, und Schröder wollte ihn erkennbar stärken. Wenn der Ministerpräsident nämlich die Reformen weitertreiben will, wie der Kanzler sicher glaubt, dann sieht er sich wachsendem Widerstand im eigenen Land gegenüber.

Das hängt nicht zuletzt an der Saumseligkeit der EU auf Zypern. Während Ankara hier tatsächlich alle Vorleistungen wohl erbracht hat, werden der türkischen Nordhälfte der Insel die zugesagten 259 Millionen Euro EU-Wirtschaftshilfe weiterhin versagt; blockiert in Brüssel von den Griechen und der griechischen Südhälfte, die ganz Zypern als EU-Mitglied vertritt. "Typisch griechisch", raunte dazu ein Berater des Kanzlers. Der Weg der Türken dürfte holperig bleiben, selbst mit Gerhard Schröder an ihrer Seite.