Politik 2004

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Verlogene Demokratie

"Die Politiker lügen immer mehr. Ich traue grundsätzlich erst mal gar keiner Aussage in Washington"

Der amerikanische Präsident, George W. Bush jun., ist ein Lügner. Ein Lügner wie die meisten seiner Kollegen in der Politik. Bush repräsentiert die sogenannten demokratischen Werte des Westens. Mehr noch, er zerbombt ganze Länder, tötet Tausende von Kinder mit seinen Bomben - alles im Namen der sogenannten Demokratie. Doch er ist ein Lügner, somit gehört er einer der widerlichsten Kategorien der Menschheit an. Denn, wer lügt, der mordet auch. Und dieser Mann will der Welt Demokratie lehren. Diejenigen, die ihn dabei so vorbehaltlos unterstützen, sind seine Lügen-Kollegen auf Präsidenten- und Kanzlerstühlen. Ein Lügner hackt dem anderen keine Lüge aus dem Konzept. Wie verlogen muß das tolle "demokratische" System des Westens sein, wenn es "Mut erfordert" die Wahrheit zu schreiben bzw. einen "Lügner auch einen Lügner" zu nennen?

spiegel.de, 21. Oktober 2004 - http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,324226,00.html

INTERVIEW MIT WATERGATE-LEGENDE BRADLEE

"Wir sollten Bush einen Lügner nennen"

Ben Bradlee enthüllte als Chefredakteur der "Washington Post" Richard Nixons Lügen über Watergate und zwang den amerikanischen Präsidenten zum Rücktritt. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE fordert Bradlee seine Kollegen auf, ähnlich unnachgiebig mit George W. Bush umzugehen.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben den Lügner Nixon 1974 aus dem Weißen Haus gejagt. War das eine Lehre für Politiker, besser bei der Wahrheit zu bleiben?

Ben Bradlee, 83, ist der wohl ein-flussreichste amerikanische Jour-nalist des 20. Jahrhunderts. Wäh-rend seiner Ägide als Chefreda-teur der "Washington Post" (1968-1991) enthüllte das Blatt in den "Pentagon Papers" die Wahrheit über den Vietnamkrieg und zwang durch seine Watergate-Recher-chen Richard Nixon zum Rücktritt.

Bradlee: Ach was, die Politiker lügen immer mehr. Ich traue grundsätzlich erst mal gar keiner Aussage in Washington. Nehmen Sie nur den Satz, aus Gründen der nationalen Sicherheit dürfe man über dies oder das nicht reden: In 90 Prozent der Fälle nutzen Politiker das zur Tarnung, um die echte Story zu verschleiern. Ich habe mich oft gefragt, warum Politiker so viel lügen. Der wichtigste Grund scheint immer noch zu sein: Sie wollen ihr Ding drehen, sie wollen Fehler vertuschen. Lustigerweise klappt das ja nie richtig - irgendwie kommt die Wahrheit doch stets raus.

SPIEGEL ONLINE: Aber manchmal braucht die Wahrheit ganz schön lange.

Bradlee: Leider oft mit furchtbaren Konsequenzen. Denken Sie nur an Lyndon B. Johnson und seine dramatische Ansprache über den angeblichen vietnamesischen Angriff auf US-Kriegsschiffe im Golf von Tonkin. Dafür hat er vom Kongress 1964 die Kriegsermächtigung für Vietnam bekommen. Wenn die Wähler damals gewusst hätten, dass der Angriff nie stattgefunden hat, könnten so viele Menschen noch am Leben sein. Und unser Land hätte nie so sehr das Vertrauen in seine Politiker verloren.

SPIEGEL ONLINE: Hat die Presse nicht auch Schuld daran? Fast alle amerikanischen Medien, auch die "Washington Post", sind davor zurückgeschreckt, Bush wegen des Irak-Krieges einen Lügner zu nennen.

Bradlee: Oh, ich finde sie sollten ihn in Leitartikeln ganz klar einen Lügner nennen. Es gibt mittlerweile auch Kommentare zu Massenvernichtungswaffen, die fast so weit gehen. Aber als Journalisten schrecken wir davor zurück, jemanden einen Lügner zu nennen. Während Watergate wussten wir, dass die Nixon-Regierung uns in Gesicht lügt. Wir hätten damals schreiben können: "Richard Nixon erklärte heute, er könne nicht über Watergate reden, weil es um Angelegenheiten der nationalen Sicherheit geht. Das ist eine Lüge." Doch ich hätte mich dabei unwohl gefühlt. US-Reporter wollen objektiv berichten, erst mal nicht urteilen. Wir vertrauen darauf, dass die Wahrheit Stück für Stück rauskommt.

SPIEGEL ONLINE: Ein wenig schuldig scheinen sich "Washington Post" und "New York Times" aber schon zu fühlen. Beide Blätter haben sich für ihre wenig kritische Berichterstattung vor dem Irak-Krieg entschuldigt.

Bradlee: Klar, sie waren ja auch zu langsam. Sie haben zu lange zu sehr auf die Erklärungen der Regierung vertraut. Und natürlich waren die Republikaner nach dem 11. September 2001 geschickt darin, jede kritische Berichterstattung unter einer Patriotismuswelle zu begraben.

SPIEGEL ONLINE: In so einem Klima erfordert es mehr Mut und Rückendeckung, eine Lüge eine Lüge zu nennen.

Bradlee: Wenn du dich in den USA als Journalist etwa mit der bestens vernetzten religiösen Rechten anlegst, hast du echte Schwierigkeiten. Und es ist ja auch ein Rechercheproblem. Bill Clinton im Lewinsky-Skandal einen Lügner zu nennen, war einfach, weil es so klar war. Für Bush muss man recherchieren. Es gibt zwar Tausende von Zeitungen in den USA, aber viele Verleger geben kein Geld für Hintergrundberichte aus. Bei der "Washington Post" hat Verlegerin Katharine Graham die Watergate-Reporter Bob Woodward und Carl Bernstein und mich noch unterstützt, als das Weiße Haus androhte, ihren Verlag zu zerstören.

SPIEGEL ONLINE: Werden Politiker also immer wieder mit Lügen durchkommen?

Bradlee: Eigentlich müsste es für sie schwieriger werden. Die Gesellschaft ist viel misstrauischer geworden in den vergangenen Jahrzehnten - durch Vietnam, durch Watergate. Auch durch die Gleichberechtigung: Frauen, die heute in führenden Positionen in Wirtschaft oder den Medien arbeiten, wollen die Geheimniskrämerei und Lügen von Männern nicht mitmachen.

SPIEGEL ONLINE: Aber wie wird sich das in kritischer Berichterstattung widerspiegeln?

Bradlee: Es sind vor allem nach Watergate viel mehr schlaue, kritische Menschen in den Journalismus gegangen. Die müssen sich jetzt zusammenreißen und ihre Hausaufgaben machen: Warum erzählt der mir das? Ist das eigentlich wahr? Und wie finde ich unabhängige Quellen, um es zu überprüfen?

Das Interview führte Gregor Schmitz

Der Oberlügner und Bombenwerfer