Politik 2003

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Jürgen W. Möllemann ist tot

Jürgen W. Möllemann kam am 5. Juni 2003 durch einen Sportunfall ums Leben. Einer der ungewöhnlichsten und bewundernswertesten Politiker des Nachkriegsdeutschland hat die politische Bühne leider für immer verlassen. Als Systempolitiker (stellvertr. FDP-Vorsitzender, Landesvorsitzender NRW, ehemaliger Bundesminister) sagte Jürgen W. Möllemann am Ende seiner politischen Karriere das, was die große Mehrheit der Menschen in Deutschland gerne sagen würden, es aber nicht wagt zu sagen: "Ich fürchte, dass kaum jemand den Antisemiten, die es in Deutschland gibt und die wir bekämpfen müssen, mehr Zulauf verschafft als Herr Scharon und in Deutschland Herr Friedman. Mit seiner intoleranten gehässigen Art. Überheblich. Das geht so nicht." (Spiegel online, Politik, 17. Mai 2002)

Für diese Sicht der Dinge erhielt Möllemann "die prompte zustimmende Reaktion in der Bevölkerung". Möllemann trug die seit langem aufgestaute antijüdische Stimmung damit in die intellektuellen Salons der BRD. Damit machte er den sogenannten Antisemitismus nicht nur hof- und salonfähig, sondern reduzierte das bisher als eine Art Gottheit über der BRD waltende Judentum zu gewöhnlich Sterblichen. Mehr noch, seine Worte verstärkten in der Bevölkerung das Gefühl, von den Juden als ungelittene Fremdlinge bevormundet zu werden.

Zum ersten Mal in der BRD-Geschichte forderte ein Systempolitiker den "Zentralrat der Juden" und speziell den gefürchteten Michel Friedman heraus. Damit hatte Möllemann in einem zentralen Bereich eine politische Ansicht publik gemacht, die der nationalsozialistischen Weltanschauung gefährlich nahe kam! So sah dies auch der Zentralrat der Juden, der in Möllemanns Reden eine Kriegserklärung gegen das Judentum erkannte: "Der Zentralrat der Juden sieht [in Möllemanns Reden] den Casus Belli, eine Kriegserklärung an die Juden in Deutschland ... Deshalb will [der Zentralrat] Möllemanns gesellschaftliche 'Ächtung'." (Die Welt, 2.6. 2002, S. 2)

Eine Zerreißprobe der politischen Systemstrukturen von ungeahnter historischer Dimension wurde durch Jürgen Möllemann heraufbeschworen. Viele Beobachter befürchteten schon seit geraumer Zeit, Möllemann könnte eines unnatürlichen Todes sterben, nachdem offen zum Mord an ihm aufgerufen wurde: "Der nordrhein-westfälische FDP-Vorsitzende Jürgen Möllemann hat gestern von der Bundesführung der Grünen eine Stellungnahme zur Mitwirkung ihres Bundestagsabgeordneten Cem Özdemir an einer Aktion Schlingensiefs in Duisburg gefordert, der dort zur Ermordung Möllemanns aufgerufen hatte." (Die Welt, 26.6.2002, S. 4)

Möllemann verlor den "Krieg" gegen den Zentralrat. Er mußte seine Ämter in der Partei sowie einige seiner politischen Mandate aufgeben, er war geschlagen und ausgestoßen! Möllemanns Ende haftet eine fröstelnde Symbolik an. Er ist steil aufgestiegen und stürzte sehr tief ab. Sofort nach Bekanntwerden seines tödlichen Unfalls wurde über die Medien verbreitet, er hätte seine Fallschirme für den vorgesehenen Absprung absichtlich nicht geöffnet - Selbstmord also! Ob dies zutrifft wird sich noch zeigen - oder auch nicht. Überraschenderweise wurde sofort nach dem Bekanntwerden von Möllemanns Tod dem Verblichenen unerwartete Ehre des gesamten Reichstags zuteil. Alle, die ihm bisher vielleicht heimlich den Tod wünschten, lobten ihn gleich nach seinem Ableben als sei er amtierender Bundespräsident gewesen. Fast wäre man geneigt, bei diesen triefenden Ehrbezeugungen an die stalinistischen Abgesänge "verdienter Genossen" zu denken, deren Abgänge das Politbüro hinter verschlossenen Türen mit Trinkgelagen feierte.

Der Zentralrat der Juden dürfte bar jeder Trauer zur Kenntnis genommen haben, daß ein großer Herausforderer hoch pokerte und sehr tief fiel (in jeder Hinsicht). Bundeskanzler Gerhard Schröder ließ es sich nicht nehmen, gleich nach der Nachricht von Möllemanns Tod einen Nachruf mit gefühl- und respektvollen Worten über seinen verschiedenen Kollegen zu verbreiten: "Ich habe Herrn Möllemann wirklich gut gekannt und ich habe ihn als Mensch geschätzt, gerade auch dann, wenn er es einem nicht besonders leicht gemacht hat." (tz, 6.6.2003, S. 1). Schröders Mitgefühl und sein Respekt war keine Heuchelei. Zu sehr fühlte er sich mit dem streitbaren Politiker Möllemann verwandt, als daß er in einer solchen Stunde politische Phrasendrescherei betrieben hätte. Möllemann legte sich mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland an, Schröder forderte Israel und die jüdischen Machtzentren weltweit heraus, als er sich dem Krieg gegen den Irak verweigerte. Gott sei Dank ist Gerhard Schröder kein Fallschirmspringer, ein Unfall aus solch lichten Höhen droht ihm also nicht.