Jüdische Studien 2003

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"Amerika kontrolliert die Welt,

... wir Juden kontrollieren Amerika"

Richard Perle hat nicht nur einen Krieg gegen den Irak empfohlen, sondern auch gegen Saudi Arabien und Ägypten. Die Verteidigung Israels erfordere diese Kriegsplanungen, sagt Perle.

Uri Avnery (israelischer Schriftsteller und Journalist)

Die Nacht danach

Von Uri Avnery

April 9, 2003

Nach der Beendigung der Kampfhandlungen im Irak wird sich die Welt mit zwei entscheidenden Tatsachen konfrontiert sehen:

Erstens, die ungeheure Überlegenheit der amerikanischen Waffen, die jede Nation der Welt bezwingen können, egal wie heldenhaft der Widerstand auch sein möge.

Zweitens, die kleine Gruppe, die diesen Krieg initiiert hat - eine Allianz von christlichen Fundamentalisten und jüdischen Neo-Konservativen. Sie siegten triumphal. In Zukunft werden sie Washington ohne Einschränkungen kontrollieren.

Die Kombination dieser beiden Tatsachen stellt für die Welt eine Gefahr dar, insbesondere für den Mittleren Osten, für die arabischen Nationen und für die Zukunft Israels. Diese Allianz ist der Feind friedlicher Lösungen, der Feind arabischer Regierungen und der Feind der Palästinenser. Aber ganz besonders ist sie der Feind der israelischen Friedensbewegung.

Diese Leute träumen nicht nur von einem amerikanischen Imperium nach Art des römischen Reichs, nein, sie träumen auch von einem kleineren israelischen Imperium - unter der Kontrolle der Rechtsextremisten und der Siedler. Diese Allianz betreibt die Absetzung aller Regime in der arabischen Welt. Diese Politik wird dauerndes Chaos in der ganzen Region verursachen und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, sind heute überhaupt nicht abzusehen.

Die Welt der Washingtoner Neokonservativen besteht aus einem Sammelsurium von ideologischer Besessenheit and überzogenen materiellen Interessen. Sie sind Eiferer eines übertriebenem amerikanischen sowie zionistischen Patriotismus.

Es handelt sich um eine gefährliche Mixtur. Darin entdeckt man Ariel Scharons Ideen und seine grandiosen Pläne zur Veränderung des Mittleren Ostens. Der Mix setzt sich aus kreativer Phantasie, aus ungebremsten Chauvinusmus und aus dem primitiven Glauben an brutale Gewalt zusammen.

Wer sind die Gewinner? Es sind die sogenannten Neokons (Neokonservative). Eine kompakte Gruppe, die sich fast ausnahmslos aus Juden zusammensetzt. Sie besetzen die Schlüsselpositionen in der Bush-Regierung sowie in den Denkfabriken der USA. Die Denkfabriken spielen eine wichtige Rolle bei der Formulierung der amerikanischen Politik in der Meinungsindustrie.

Über viele Jahre hinweg waren diese Leute nichts weiter als eine unbedeutente Gruppe mit einem Rechten-Programm. Als Benjamin Netanjahu in Israel die Macht übernahm, boten sie ihm Rat an, wie man die Araber am besten bekämpfen könne.

Die große Stunde schlug für diese Leute mit dem Zusammenbruch der Zwillingstürme von New York. Die amerikanische Öffentlichkeit befand sich im Schockzustand, außerstande, eine Welt zu begreifen, die sich über Nacht verändert hatte.

Die Neokons waren die einzigen mit einer fertigen Erklärung zur Lage und boten gleichzeitig die Problemlösung an. Nur neun Tage nach dem Anschlag auf das World Trade Center veröffentlichte Willian Kristol (Sohn des Gründers der Neokons, Irving Kristol) einen offenen Brief an Präsident Bush, in dem er unterstrich, daß es nicht damit getan sei, das Netzwerk des Osama Bin Laden auszurotten. Kristol schrieb, es sei zwingend, "Saddam Hussein von der Macht zu entfernen" und an "Syrien und Iran Vergeltung für die Unterstützung der Hisbollah zu üben".

Eines von vielen Opfern der jüdischen Neokons, die alle arabischen Regime durch Kriege austauschen wollen.

Im folgenden eine kurze Liste von Persönlichkeiten dieser Machtelite:

Kristols offener Brief wurde in seinem "Weekly Standard" veröffentlicht. Kristol gründete diese Zeitung mit dem Geld des ultrarechten Rupert Murdoch, der 10 Millionen Dollar für die Sache spendete. Unterzeichnet wurde der offene Brief von 41 führenden Neokonservativen. Darunter Norman Podhoretz, ein ehemaliger jüdischer Linker, der zu einer Ikone der extremen jüdischen Rechten wurde. Podhoretz ist Redakteur des renommierten "Encounter"-Magazins. Seine Frau Midge Decter, Schriftstellerin, gehörte wie Frank Gaffney vom Zentrum für Sicherheitsstutien ebenfalls zu den Unterzeichnern. Daneben unterzeichnete Robert Kagan, der auch zum Weekly Standard gehört. Der Petitionsreigen schloß sich mit den Unterschriften von Charles Krauthammer von der Washington Post und der von Richard Perle.

Perle nimmt eine zentrale Rolle in diesem Spiel ein. Er war bis vor kurzem noch Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Verteidigungsministerium, wozu auch Eliot Cohen und Devon Cross gehören. Perle gehört zum Direktorium der Jerusalem Post, die sich jetzt in den Händen von rechtsextremen Zionisten befindet. In der Vergangenheit arbeitete er für Senator Henry Jackson, der den Kampf gegen die Sowjetunion im Namen der Juden führte, die auswandern wollten. Er ist eine Führungsfigur des einflußreichen "Institut Amerikanischer Unternehmungen", das dem Rechten Flügel angehört. Kürzlich sah er sich genötigt, von seinem Amt im Verteidigungsministerium zurückzutreten als bekannt wurde, daß ein Privatunternehmen für seine Einflußnahme in der Regierung eine Million Dollar an ihn bezahlte.

Der offene Brief von Kristol war der eigentliche Beginn des Irak-Kriegs. Er wurde von der Bush-Regierung, die sich auf Mitglieder der Neokons stützt, mit Begeisterung aufgenommen. Paul Wolfowitz, der Vater des Kriegs, ist die Nummer zwei im Verteidigungsministerium. Der Planungsstab des Verteidigungsministeriums wiederum wird von einem Freund von Perle, Douglas Feith, geleitet. John Bolton ist Staatssekretär im Außenministerium. Eliot Abrams ist für die Nahost-Politik und für den nationalen Sicherheitsrat verantwortlich. Abrams war Teil des Iran-Contra-Israel Skandals. Der Held dieses Skandals, Oliver North, gehört zusammen mit Michael Ledeen zum "Jüdischen Institut für nationale Sicherheitsfragen" (Jewish Institute for National Security Affairs). North befürwortet nicht nur einen totalen Krieg gegen den Irak, sondern auch gegen alle anderen Feinde Israels wie Iran, Syiren, Saudi Arabien und die Palästinensische Autonomieverwaltung. Dov Zakheim ist Rechnungsprüfer für das Verteidigungsministerium.

Die meisten Leute um Vize-Präsident Dick Cheney and Verteidigungsminister Donald Rumsfeld gehören zum "Projekt eines neuen amerikanischen Jahrhunderts". Von ihnen stammt ein Weißbuch aus dem Jahre 2002, in dem "das Ziel zur Erhaltung und Förderung des amerikanischen Friedens" beschrieben wird, was nichts anderes beschreibt als Amerikas Kontrolle über die Welt.

Meyrav Wurmser (Meyrav ist ein modischer israelischer Rufname) ist Direktorin des "Zentrums für Nahost-Politik" am Hudson Institut. Sie schreibt auch für die Jerusalem Post und ist Gründungsmitglied des "Middle East Media Research Institute", das laut des Londoner Guardian mit dem israelischen Geheimdienst zusammenarbeitet. MEMRI beliefert die Medien und Politiker mit sorgfältig ausgewählten Zitaten aus extremen arabischen Publikationen. Meyravs Ehemann, Davis Wurmser, arbeitet an Perles "American Enterprise Institute", wo er für die Nahost-Studien zuständig ist. Nicht zu vergessen unser alter Bekannter Dennis Ross, der dem "Washington Institut für Nahost-Politik" angehört. Ross war über Jahre hinweg für den "Friedensprozeß" im Mittleren Osten zuständig.

Die Neokons haben ihre Leute in allen wichtigen Medien positioniert. Dazu gehört der Kolumnist William Safire von der New York Times. Safire gilt als der Mann, der von Scharon regelrecht hypnotisiert ist. Auch Charles Krauthammer von der Washington Post gehört dazu. Ein weiterer Freund von Perle, Robert Bartley, ist der Redakteur des Wallstreet Journal.

Wenn die Reden von Bush und Cheney oftmals anmuten als kämen sie gerade über die Lippen Scharons, dann liegt das daran, daß die Redenschreiber der beiden, Joseph Shattan, Mathew Scully und John McConnel, zu den Neokons gehören. Cheneys Stabschef ist übrigens Lewis Libby.

Der unglaubliche Einfluß dieser großen jüdischen Gruppe beruht auf der engen Allianz mit den rechtsextremen "Christlichen Fundamentalisten", die derzeit Bushs Republikaner-Partei kontrollieren. Die Gründer der "Christlichen Fundamentalisten" waren Jerry Falwell von der "Moralischen Mehrheit" und Pat Robertson von der "Christlichen Koalition" and der "Christlichen Radioanstalt". Falwell bekam einmal von Menachem Begin einen Jet geschenkt. Die "Christlichen Fundamentalisten" tragen zur Finanzierung der christlichen Botschaft des J.W. van der Hoeven in Jerusalem bei. Diese "Christliche Botschaft" wiederum unterstützt die jüdischen Siedler und deren Freunde im Rechten Lager.

Beide Gruppen, "Christliche Fundamentalisten" wie jüdische Neokons, befolgen die fanatische Ideologie der extremen Rechten in Israel. Sie sehen den Irak-Krieg als einen Kampf zwischen den Kindern des Lichts (Amerika und Israel) und den Kindern der Finsternis (Araber und Moslems) an.

Übrigens, die hier gemachten Ausführungen sind keine Geheimnisse. Diese Hintergründe wurden in Dutzenden von Artikeln in amerikanischen wie auch in anderen Weltmedien veröffentlicht. Die Neokons sind sehr stolz darauf, daß ihr Einfluß und ihre Macht entsprechend gewürdigt werden.

1. Der zionistische General. Der Mann, der den Sieg der Neokons symbolisiert, ist General Garner. Garner wurde gerade zum Chef der irakischen Zivilregierung ernannt.

Garner ist nicht irgendein General, der rein zufällig in dieses Amt gesetzt wurde. Bei Garner handelt es sich um den ideologischen Partner von Paul Wolfowitz und der Neokons.

Vor zwei Jahren unterzeichnete Garner mit weiteren 26 Offizieren eine vom "Jüdischen Institut für nationale Sicherheitsfragen" eingebrachte Petition. In dieser Petition wurde die israelische Armee "für ihre Zurückhaltung angesichts der tödlichen Gewalt, organisiert von der Palästinensichen Autonomiebehörde", hoch gelobt. Dieses Lob dürfte sogar die israelischen Streitkräfte überrascht haben. Garner sagte: "Ein starkes Israel ist von großem Wert, da sich amerikanische Militärplaner und politische Führer darauf verlassen können."

Im ersten Irak-Krieg bejubelte Garner die Leistungen des Raketenabwehrsystems Patriot, das nicht schlimmer hätte versagen können. Nachdem er 1997 aus der Armee ausschied, belieferte er, was nicht überrascht, das Verteidigungsministerium mit Raketentechnologie. Es wird angenommen, daß er sich keiner Konkurrenz im Werben um die Pentagonaufträge ausgesetzt sah. In diesem Jahr erhielt er einen Auftrag aus dem Verteidiungsministerium mit einem Umfang von 1,5 Milliarden Dollar sowie einen weiteren Auftrag, das Patriot Raketensystem in Israel zu bauen.

Es kann also gar keinen besseren Mann für die irakische Zivilverwaltung geben. Zumal nicht in einer Zeit, wenn Aufträge in Milliardenhöhe für den Wiederaufbau vergeben werden, die mit irakischem Öl bezahlt werden.

2. Eine neue Balfour-Erklärung. Die Ideologie dieser Gruppe, die nach einem amerikanischen Weltimperium sowie für ein Groß-Israel strebt, erinnert an vergangene Tage.

Die Balfour-Erklärung von 1917, die den Juden einen Staat in Palästina versprach, hatte folgende Eltern: Der christliche Zionismus war die Mutter (darunter befanden sich illustre Staatsmänner wie Lord Palmerston und Lord Shaftesbury, lange vor Gründung der zionistischen Bewegung). Der Vater war der britische Imperialismus. Die zionistische Idee half den Briten, den französischen Konkurrenten auszuschalten und Palästina einzunehmen. Dies war notwendig, um die Sicherheit des Suezkanals und eine kürzere Route nach Indien zu gewährleisten.

Nun wiederholt sich die Geschichte. Im vergangenen Jahr organisierte Richard Perle eine Zusammenkunft wichtiger Leute, auf der ein Sprecher nicht nur den Krieg gegen den Irak empfahl, sondern auch gegen Saudi Arabien und Ägypten, um die größten Erdölreserven der Welt unter Kontrolle zu bekommen. Der Irak, so wurde erklärt, sei die zentrale Angelegenheit. Die Verteidigung Israels erfordere diese Kriegsplanungen, rechtfertigte Perle seine Strategie.

3.Wetten um unseren Kopf? Es scheint, daß all das gut ist für Israel. Amerika kontrolliert die Welt, wir, die Juden, kontrollieren Amerika. Nie zuvor haben Juden derart großen Einfluß im Herzen einer Weltmacht ausgeübt.

Ich bin über diese Entwicklung beunruhigt. Wir verhalten uns wie Spieler, die ihre Zukunft auf ein einziges Pferd setzen. Ein gutes Pferd wohl, mit derzeit keinem Konkurrenten, aber halt doch nur EIN Pferd.

Die Neokons werden für eine lange Zeit Chaos in der arabischen und moslemischen Welt auslösen. Der Irak-Krieg hat bewiesen, daß ihre Kenntnisse hinsichtlich der arabischen Wirklichkeit äußerst dürftig sind. Ihre politischen Ziele haben den Realitäts-Test nicht bestanden. Nur mit brutaler Gewalt konnten sie ihre Pläne vorläufig durchsetzen.

Eines Tages werden die Amerikaner nach Hause gehen und wir Juden müssen hier bleiben. Wir müssen mit den arabischen Völkern leben. Chaos in der arabischen Welt aber gefährdet unsere Zukunft.

Wolfowitz und Co. mögen von einem demokratischen, liberalen und amerika-liebenden Mittleren Osten träumen. Doch das Ergebnis ihrer Abenteuer könnte den Mittleren Osten in eine fanatische und fundamentalistische Region verwandeln, die unsere Existenz tödlich bedroht.

Die Partnerschaft der Neokons mit den "Christlichen Fundamentalisten" könnte in Washington Gegenkräfte hervorbringen. Und wenn Bush bei der nächsten Wahl nicht mehr an die Macht kommt, so wie es seinem Vater nach dem ersten Irak-Krieg geschah, wird diese ganze Bande aus den Regierungsstellen verjagt werden.

Die Bibel nennt ein passendes Beispiel zur heutigen Situation. Die Könige von Judäa verließen sich auch auf die damalige Weltmacht Ägypten. Sie ignorierten die aufkommenden Kräfte im Osten, Assyrien und Babylon. Ein assyrischer General sagte dem König von Judäa: "Siehe, du vertrautest auf den zerknickten Rohrstab, auf Ägypten, der jedem, der sich darauf stützt, in die Hand eindringt und sie durchbohrt." (II Könige, 18,21)

Bei Bush und seine Bande von Neokons handelt es sich nicht um einen zerknickten Rohrstab, bei weitem nicht. Sie verkörpern vielmehr einen äußerst starken Stab. Aber sollten wir darauf unsere ganze Zukunft stützen?

www.gush-shalom.org/archives/article242.html